Umsatzsteuer Newsletter 06/2021
BFH: Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden – Flächenschlüssel auf dem Prüfstand
Die Vorsteueraufteilung bei gemischt genutzten Gebäuden ist immer wieder Gegenstand finanzgerichtlicher Verfahren. Der BFH stellt in diesem Zusammenhang nun klar: Der Steuerpflichtige ist nicht an den gewählten Aufteilungsschlüssel gebunden, wenn dieser nicht sachgerecht ist. Er kann daher den Aufteilungsschlüssel wechseln, wenn sich der ursprüngliche gewählte Flächenschlüssel im Nachhinein als nicht sachgerecht erweist. Die Beweislast, ob der Flächenschlüssel in diesem Fall präziser ist als der Umsatzschlüssel, liegt beim Finanzamt. Bei erheblichen Ausstattungsunterschieden gemischt genutzter Gebäude sind die Vorsteuerbeträge in der Regel nach dem (objektbezogenen) Umsatzschlüssel aufzuteilen.
1 Hintergrund
Bei gemischt genutzten Gebäuden ist der Vorsteuerabzug vor dem Hintergrund des Neutralitätsgrundsatzes nur soweit zulässig, wie sich die Eingangsleistungen steuerpflichtigen Ausgangsleistungen zuordnen lassen. Bei der Errichtung von Gebäuden ist – im Gegensatz zu bloßen Erhaltungsaufwendungen – eine direkte Zuordnung der Kosten zu den für steuerpflichtige oder -freie Ausgangsleistungen verwendeten Flächen in der Praxis schlichtweg nicht umsetzbar. Bei Anschaffungs- und Herstellungskosten eines gemischt genutzten Gebäudes ermittelt sich die abziehbare Vorsteuer deshalb anhand der prozentualen Verwendungsverhältnisse des Gesamtgebäudes. 
 
Die Wahl des geeigneten Aufteilungsmaßstabs war immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung. Nun scheint Ruhe in die Diskussion einzukehren: Der BFH bestätigt in der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung.
 
2 Sachverhalt
Die Klägerin errichtete in den Streitjahren 2009 und 2010 ein „Stadtteilzentrum“. Neben einem umsatzsteuerpflichtig verpachteten Supermarkt befand sich darin eine steuerfrei vermietete Wohnanlage. Den Anteil der abziehbaren Vorsteuern ermittelte die Klägerin nach dem sog. Flächenschlüssel mit 37,42 %. Später reduzierte das Finanzamt diesen Anteil im Rahmen einer Außenprüfung. 
 
Im Einspruchs- und Klageverfahren machte die Klägerin nunmehr geltend, dass, aufgrund der unterschiedlichen Ausstattung, der objektbezogene Umsatzschlüssel (48,27 %) anwendbar sei. Dies führe zu einer höheren Vorsteuer. Das Finanzgericht hielt die ursprüngliche Wahl des Flächenschlüssels durch die Klägerin für bindend.
 
 
3 Entscheidung des Gerichts
Dem tritt der BFH mit seiner Entscheidung vom 11.11.2020 (XI R 7/20) entgegen. Die Wahl des Aufteilungsschlüssels obliegt grundsätzlich dem Unternehmer. Der gewählte Aufteilungsmaßstab muss aber einer sachgerechten Schätzung i. S. v. § 15 Abs. 4 S. 2 UStG entsprechen. Im Falle eines nicht sachgerechten Maßstabes ist die getroffene Wahl nicht bindend. Dann kann der Unternehmer später – etwa anlässlich einer Außenprüfung – zu einem anderen Aufteilungsschlüssel übergehen. Nicht der Flächenschlüssel ist nach Auffassung des BFH im vorliegenden Fall sachgerecht, sondern der objektbezogene Umsatzschlüssel. Dass die Umsatzsteuererklärungen der Streitjahre 2009 und 2010 mit der Wahl des Flächenschlüssels bereits formell bestandskräftig waren, hält der BFH für unschädlich.
 
Zu diesem Ergebnis kommt der BFH durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 15 Abs. 4 UStG: Bei der Herstellung und dem Erwerb von gemischt genutzten Gebäuden findet nach Auffassung der Rechtsprechung und der Finanzverwaltung grundsätzlich der Flächenschlüssel Anwendung (BFH v. 16.11.2016, XI R 31/09; vgl. auch Abschn. 15.17 Abs. 7 S. 4, Abs. 7 Beispiele UStAE). Während nach nationalem Recht (§ 15 Abs. 4 S. 3 UStG) der sog. Umsatzschlüssel nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist, sieht hingegen das Unionsrecht (Art. 173 Abs. 1 Uabs. 1, Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL) als Grundsatz den globalen Umsatzschlüssel vor. In seiner Grundsatzentscheidung in der Rs. BLC Baumarkt (C-511/10) löste der EuGH dieses Spannungsverhältnis folgendermaßen auf: Die Anwendung des Flächenschlüssels ist zulässig, wenn dieser eine präzisere Bestimmung des Pro-rata-Satzes als der Umsatzschlüssel ermöglicht. In seiner Rechtsprechung drängt der BFH den Flächenschlüssel vor diesem Hintergrund faktisch weitgehend zurück. Dieser ist nach der Rechtsprechung des BFH jedenfalls dann nicht die genauere Aufteilungsmethode, wenn erhebliche Unterschiede in der Ausstattung der verschiedenen Zwecken dienenden Räume bestehen (vgl. auch Abschn. 15.17 Abs. 7 S. 6 UStAE). In diesem Fall verteilen sich die Eingangsleistungen gerade nicht gleichmäßig auf die Fläche. Zur Aufteilung der Vorsteuern ist dann der objektbezogene Umsatzschlüssel heranzuziehen.
 
Im Übrigen bestätigt der BFH in seiner Entscheidung die „Eintopf“-Theorie: Es bleibt bei einer Zweiteilung hinsichtlich der Eingangsleistungen bei Gebäuden. Während Eingangsleistungen für Nutzung, Erhaltung und Unterhaltung grundsätzlich den verschiedenen Ausgangsleistungen unmittelbar und direkt zuzuordnen sind, werden die Eingangsleistungen bei Errichtung und Anschaffung in einem Topf gesammelt und nach § 15 Abs. 4 UStG prozentual aufgeteilt.
 
4 Folgen für die Praxis
In vielen Fällen werden in verschiedener Weise genutzte Räume unterschiedliche Ausstattungsmerkmale aufweisen – wie in der Höhe der Räume, der Dicke von Wänden und Decken oder hinsichtlich der Innenausstattung. Die Entscheidung eröffnet dem Unternehmer daher ein faktisches Wahlrecht, wenn sich der Flächenschlüssel im Nachhinein als nicht sachgerecht erweist. Nicht der Unternehmer muss beweisen, dass im Einzelfall der Umsatzschlüssel präziser ist als der Flächenschlüssel. Vielmehr ist die Finanzverwaltung gehalten, den Flächenschlüssel nur anzuwenden, wenn dieser eine präzisere Aufteilung ermöglicht. 
 
Soweit Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Ausstattung bestehen, können Unternehmer nun prüfen, ob sich der Wechsel vom Flächenschlüssel zum Umsatzschlüssel lohnt. Ist noch keine materielle Bestandskraft eingetreten, lässt sich die ursprüngliche Wahl des Flächenschlüssels auch noch rückwirkend revidieren, wenn der ursprünglich gewählte Aufteilungsschlüssel nicht sachgerecht war. Unklar ist aber weiter, wann die Unterschiede in den Ausstattungsmerkmalen so erheblich sind, dass sie der Anwendung des Flächenschlüssels entgegenstehen. 
 
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Jochen Tillmanns
Rechtsanwalt, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 381
E-Mail: jochen.tillmanns@kmlz.de

Stand: 25.02.2021