Umsatzsteuer Newsletter 05/2025
Insolvenz und Umsatzsteuer: Zahlung eines Drittschuldners als Insolvenzforderung
Im Insolvenzeröffnungsverfahren gelten Besonderheiten, auch für den Bereich des Umsatzsteuerrechts. Vereinnahmt ein Insolvenzschuldner während des Insolvenzeröffnungsverfahrens Entgelte für eine Leistung, die er vor Verfahrenseröffnung ausgeführt hat, führt dies nicht immer zu einer Masseverbindlichkeit (welche für den Insolvenzverwalter nachteilig ist). Eine Masseverbindlichkeit entsteht nicht, wenn die Forderung des Insolvenzschuldners durch Zahlung des Drittschuldners erlischt, ohne dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter dem zugestimmt hat oder sonst daran beteiligt war. Dies hat der BFH mit Urt. v. 29.08.2024 (V R 17/23) klargestellt. Das Finanzamt muss in diesem Fall seine Umsatzsteuerforderung zur Tabelle anmelden.
1 Hintergrund
Grundsätzlich setzt das Finanzamt (FA) die Umsatzsteuer im Festsetzungsverfahren durch Steuerbescheid gemäß § 155 Abs. 1 S. 1 AO fest. Wurde über das Vermögen des Steuerschuldners aber das Insolvenzverfahren eröffnet, ist dies nur noch eingeschränkt möglich. Denn nach § 87 InsO können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Ist eine Steuerforderung danach als eine solche Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zu qualifizieren, hat das FA sie nach §§ 28 Abs. 1, 174 InsO fristgemäß zur Insolvenztabelle (§ 175 InsO) anzumelden und erforderlichenfalls durch (sonstigen) schriftlichen Steuerverwaltungsakt festzustellen (§ 179 Abs. 1, § 185 Abs. 1 S. 1 InsO, § 251 Abs. 3 AO). Eine Festsetzung mittels Steuerbescheid ist in dem Fall rechtswidrig. Für Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) gilt diese Einschränkung nicht. Letztere sind gemäß § 53 InsO vorweg zu befriedigen und daher wie üblich durch Steuerbescheid festzusetzen (und zwar gegenüber dem Insolvenzverwalter, § 34 Abs. 3, Abs. 1 AO). Weil die Qualifikation der Steuerforderung als Insolvenz- oder Masseverbindlichkeit maßgeblich über ihre Befriedigungsaussichten entscheidet, entsteht insoweit oft Streit zwischen den Verfahrensbeteiligten. Das FA ist wegen der Privilegierung von Masseverbindlichkeiten nach § 53 InsO regelmäßig bestrebt, eine solche anzunehmen, während der Insolvenzverwalter ein Interesse an der Einordnung als Insolvenzforderung verfolgt, um die Masse zu schonen. So war es auch im jüngst vom BFH veröffentlichten Fall (Urt. v. 29.08.2024 – V R 17/23).
 
2 Sachverhalt (vereinfacht)
Das Insolvenzgericht bestellte Mitte Juni 2016 den Kläger (im Folgenden: Kl.) zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners (im Folgenden: I), der als natürliche Person eine gewerbliche Tätigkeit selbstständig ausübte. Verfügungen des I waren nur mit Zustimmung des Kl. wirksam. Zudem wurde der Kl. ermächtigt, Forderungen des I auf ein Treuhandkonto einzuziehen. I verfügte über ein Girokonto bei einer Bank. Auf dieses Konto überwies die C-GmbH (im Folgenden C), an die I Leistungen erbracht hatte, als Drittschuldnerin des I im Juni 2016 in Unkenntnis des Insolvenzeröffnungsverfahrens mehrere Beträge. Im Verwendungszweck benannte die C Rechnungen, die I für seine Leistungen an sie gestellt hatte. Anfang Juli 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des I eröffnet. Das beklagte FA setzte Umsatzsteuer für 2016 gegenüber dem Kl. fest, mithin zu Lasten der Insolvenzmasse. Die Steuerfestsetzung bezog auch die Beträge mit ein, die C an I überwiesen hatte. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg.
 
3 Entscheidung des BFH
Der BFH bestätigt die Sichtweise des FG. Aus Sicht des BFH begründet die Zahlung der C eine Insolvenzforderung. Die Umsatzsteuer schmälert die Masse somit nicht:
 
  • Das FG habe zu Recht entschieden, dass keine Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 4 a.F. InsO vorliegt. Derartige Verbindlichkeiten könne der schwache vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner mit dessen Zustimmung nur im Rahmen der für den Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse begründen.
  • Hierfür sei auf den Zeitpunkt der Entgeltvereinnahmung abzustellen.
  • Vereinnahme der vorläufige Insolvenzverwalter den Betrag – wie im vorliegenden Fall – jedoch nicht im Rahmen seines Rechts zum Forderungseinzug, werde eine Masseverbindlichkeit nur begründet, wenn eine Vereinnahmung im Zusammenhang mit anderweitigen Rechtsbefugnissen des vorläufigen Insolvenzverwalters vorliege.
  • Hieran fehle es, wenn die Zahlung nicht aufgrund einer Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zum Erlöschen der Forderung des Insolvenzschuldners führt, sondern aufgrund anderer insolvenzrechtlicher Regelungen – ohne Zutun des vorläufigen Insolvenzverwalters.
  • So liege der Fall hier. Zwar sei der I infolge der Anordnung des Zustimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO nicht mehr berechtigt gewesen, die Zahlungen der C ohne Zustimmung des Kl. zu empfangen. Allerdings gälten bei einem Verstoß gegen die in § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen gem. § 24 Abs. 1 InsO die Gutglaubensschutz-Vorschriften der §§ 81, 82 InsO entsprechend. Da die C keine positive Kenntnis von dem Insolvenzeröffnungsverfahren gehabt habe, konnte sie mit schuldbefreiender Wirkung an I zahlen.
  • Wenn, wie hier, § 82 InsO zum Erlöschen der aus dem Rechtsverhältnis zwischen dem I und der C folgenden Entgeltforderung des I führt, sei dies auch umsatzsteuerrechtlich zu beachten. I hat die Zahlung damit abschließend vereinnahmt. Dies geschah gerade ohne ein Zutun des Kl.
  • Eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO, die gegenüber dem Kl. festzusetzen wäre, liegt damit nicht vor. Die Umsatzsteuerforderung richtet sich gegen das vorinsolvenzliche Vermögen des I. Ggf. nachfolgende Verfügungen des Kl. – beispielsweise Erlangung der von der C bezahlten Gelder oder Genehmigung von Verfügungen des I – vermögen daran nichts mehr zu ändern.
4 Praxisfolgen
Mit seiner Entscheidung hat der BFH Rechtssicherheit geschaffen. Schuldbefreiende Zahlungen eines Drittschuldners an den Insolvenzschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren ohne Zutun des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters sind keine Masseverbindlichkeiten. Zumindest umsatzsteuerlich beansprucht dieser Grundsatz auch nach der Änderung des § 55 Abs. 4 InsO weiterhin Geltung. Zudem ist zu beachten, dass die Vorschrift in ihrer neuen Fassung auch auf die Eigenverwaltung anwendbar ist.

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Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 03.03.2025