Umsatzsteuer Newsletter 04/2022
EuGH: Strafen bei vertragswidrigem Verhalten umsatzsteuerpflichtig?
Die Abgrenzung von Schadensersatz und Leistungsentgelt spielt in der täglichen Praxis immer wieder eine Rolle. Gem. Abschn. 1.3 Abs. 3 UStAE sind u.a. Vertragsstrafen Schadensersatz und nicht Leistungsentgelt. Der EuGH engt diese Sichtweise nun ein. In seiner Entscheidung vom 20.01.2022 in der Rs. C-90/20 – Apcoa Parking Danmark A/S hat er zu einem Fall der Parkplatznutzung im Bereich der Privatwirtschaft entschieden: Verstößt ein Kraftfahrer bei der Parkplatznutzung gegen die Allgemeinen Nutzungsbedingungen und muss deshalb einen (zusätzlichen) Betrag zahlen, so handelt es sich nach Auffassung des EuGH dabei um umsatzsteuerpflichtiges Leistungsentgelt für die konkrete Parkplatznutzung.
1 Sachverhalt
Die Klägerin in der Rs. C-90/20 (Apcoa Parking Danmark A/S, EuGH, Urt. v. 20.01.2022) betreibt für Eigentümer von Privatgrundstücken Parkplätze auf diesen Grundstücken. Die Parkplätze waren auch der Öffentlichkeit zugänglich. Die Klägerin verwaltet die Parkplätze und legt insbesondere in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Regeln für die Nutzung der Parkplätze (z. B. Parkdauer) fest. Auf einigen der Parkplätze verlangte sie ein Entgelt für die Parkplatznutzung. Am Eingang zum Parkplatzareal wird auf einem Schild darauf hingewiesen, dass Privatrecht gilt. Bei einem Verstoß gegen die vereinbarten Parkvorschriften erhebt die Klägerin eine Kontrollgebühr i. H. v. umgerechnet ca. EUR 70 (in Fällen, in denen reguläres Parkentgelt anfällt, zusätzlich zu diesem). 
 
Die Klägerin bestreitet die Umsatzsteuerpflicht der Kontrollgebühren. Daher legte das dänische Gericht dem EuGH die Frage vor, ob es sich bei den Kontrollgebühren um Entgelt für eine erbrachte Dienstleistung handelt. Dabei ging es ausdrücklich nur um das umsatzsteuerrechtliche Verhältnis der Klägerin zu den Parkenden und nicht um das Verhältnis der Klägerin zu den Eigentümern der Parkplätze.
 
2 Entscheidung des EuGH
Der EuGH urteilte, dass es sich bei den Kontrollgebühren um eine Gegenleistung für eine Dienstleistung gegen Entgelt handle. Eine Dienstleistung werde nämlich dann „gegen Entgelt“ erbracht, wenn ein Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden. Darüber hinaus muss die Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die erbrachte bestimmbare Dienstleistung bilden. 
Im zu entscheidenden Fall stellte die Zahlung der Parkgebühren – soweit die Klägerin eine solche verlangte – zweifelsfrei die Gegenleistung für die Bereitstellung eines Parkplatzes dar. Aber auch die bei vorschriftswidrigem Parken anfallende Kontrollgebühr sei, so der EuGH, Teil der Gegenleistung. Der Parkende habe sich mit den Parkbedingungen einverstanden erklärt. Dazu zählt auch die Zahlung der Kontrollgebühr bei vorschriftswidrigem Parken. Auch der vorschriftswidrig Parkende nimmt einen Parkplatz in Anspruch. Dadurch sei der unmittelbare Zusammenhang zwischen Parkplatznutzung und Kontrollgebühr als Entgelt gegeben. Die Höhe der Kontrollgebühr sei darauf zurückzuführen, dass sich durch Falschparken zwangsläufig die Betriebskosten der Parkplätze erhöhen.
 
Auch die Tatsache, dass der Betrag im Voraus festgelegt ist und nach Ansicht der Klägerin nicht in einem konkreten wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Wert der Parkdienstleistung steht, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn der Umstand, ob der Betrag der Gegenleistung höher oder geringer ausfällt als die bei der Klägerin für die Erbringung der Leistung angefallenen Kosten, ist unerheblich.
 
Dass die Kontrollgebühr nach nationalem Recht als Bußgeld qualifiziert werde, ändere an der Betrachtung nichts. Es komme auf eine unionsrechtliche Betrachtung und nicht auf eine nationale Beurteilung an.
 
3 Praxisfolgen
Der EuGH fasst in seiner Entscheidung den Entgeltbegriff recht weit. Er rechnet auch Strafen mit zum Entgelt, die der Leistungsempfänger vereinbarungsgemäß an den Leistenden zahlen muss, wenn er sich vertragswidrig verhält. 
 
Regelungen, wie Zahlungen für vertragswidriges Verhalten umsatzsteuerrechtlich zu behandeln sind, finden sich auch im UStAE. Die deutsche Finanzverwaltung geht in Abschn. 1.3 Abs. 3 UStAE bislang davon aus, dass Vertragsstrafen als Schadensersatz anzusehen und somit nicht steuerbar sind. Auch das erhöhte Beförderungsentgelt bei Schwarzfahrten (Abschn. 10.1 Abs. 3 S. 11 UStAE) oder der Minderwertausgleich im Fall des Leasing (Abschn. 1.3 Abs. 17 S. 2 UStAE) werden von der Finanzverwaltung bisher als nicht steuerbar angesehen. Legt man die Maßstäbe des EuGH zu Grunde, könnte diese Sichtweise nun ins Wanken geraten. 
 
Soweit es auf der Seite des Leistenden zu einer Besteuerung entsprechender Straf-/Schadensersatzzahlungen kommt, muss dem Leistungsempfänger konsequenterweise auch der Vorsteuerabzug aus darauf bezogenen Eingangsleistungen zustehen. Dem Leistenden seinerseits steht aus seinen diesbezüglichen Eingangsleistungen ebenfalls der Vorsteuerabzug zu und das letztlich unabhängig davon, ob er auf der Ausgangsseite nicht steuerbare oder steuerpflichtige Ausgangsumsätze erzielt.
 
Unternehmer, bei denen sich Fragen der Abgrenzung zwischen nicht steuerbarer Strafzahlung/Schadensersatz und Leistungsentgelt ergeben könnten, sollten bei Vertragsschluss oder -anpassung an entsprechende Umsatzsteuerklauseln denken.
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 09.02.2022