Umsatzsteuer Newsletter 02/2022
Gewichtskonten: Erfreuliche Klarstellungen durch BMF
Das BMF hat erfreuliche Klarstellungen zu Transaktionen in Zusammenhang mit Gewichtskonten vorgenommen. Für die Qualifikation als „Lieferung“ oder „sonstige Leistung“ kommt es auf die Vereinbarungen des Grundgeschäfts an. Das BMF gibt der Praxis Indizien an die Hand, wann eine steuerbare Lieferung vorliegt, wann es sich um eine steuerbare sonstige Leistung handelt und wann gar kein steuerbarer Umsatz gegeben ist.
1 Hintergrund 
Gewichtskonten werden nicht nur beim Handel mit Edelmetallen geführt, sondern in allen Bereichen, die mit Metall arbeiten. Aufgrund des unterschiedlich hohen Wertes von Metallen kommt den Gewichtskontentransaktionen in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu. Liefert ein Eigentümer Metall bei einem Unternehmer der Metallindustrie an, der das Metall als Guthaben auf einem Gewichtskonto des Anlieferers verbucht, verbleibt das Eigentum am Metall grundsätzlich beim Anlieferer. Das physische Metall wird bei Unternehmen der Metallindustrie in der Regel sammelverwahrt. Dadurch kommt es zur Vermischung des eingelieferten Metalls mit dem Metall anderer Kunden, sodass eine spätere Identifikation des angelieferten Metalls nicht mehr möglich ist. Zivilrechtlich entsteht damit grundsätzlich Miteigentum. Das Gewichtskonto dient als Abbild über die Inhaberschaft von Rechten am insgesamt vorhandenen physischen Metall.
 
2 Umsatzsteuerrechtliche Herausforderungen 
Mit der zivilrechtlichen Einordnung als Miteigentum fängt aber auch die Problematik in der Umsatzsteuer an. Denn wie verhält es sich, wenn über Gewichtskonten (entgeltlich) verfügt wird?
 
Die Branche hatte sich bislang an dem Schreiben der OFD Karlsruhe vom 19.02.2015 orientiert. Darin wurde die entgeltliche Verfügung als sonstige Leistung eingestuft. Hintergrund war eine ältere Rechtsprechung des BFH, wonach die Übertragung eines Miteigentumsanteils stets als sonstige Leistung einzuordnen war. Aufregung gab es, als der BFH plötzlich seine Rechtsprechung zur Übertragung eines Miteigentumsanteils änderte. In einem Urteil aus dem Jahr 2016 stellte der BFH fest, dass der Verkauf eines Miteigentumsanteils an einem Buch eine Lieferung darstellt. Die Finanzverwaltung reagierte entsprechend und erweiterte in Abschn. 3.5 Abs. 2 Nr. 6 UStAE den Katalog von möglichen Lieferungen dahingehend, dass die Übertragung von Miteigentumsanteilen (Bruchteilseigentum) an einem Gegenstand stets als Lieferung anzusehen ist. In der (Edel-)Metallbranche führte diese Änderung der Verwaltungsauffassung zu großer Verunsicherung, da viele Geschäfte grenzüberschreitend stattfinden und damit die Besonderheiten bei Lieferungen zu beachten gewesen wären. 
 
3 Klarstellungen durch das BMF 
Wie das BMF nunmehr deutlich macht, ist allein durch die Tatsache, dass Gewichtskonten Miteigentum auslösen, bei einem Gewichtskontenübertrag nicht zwingend von einer „Lieferung“ auszugehen. Es kann sich auch um sonstige Leistungen handeln. Entscheidend sind die Vereinbarungen des Grundgeschäfts, auf denen die jeweilige Transaktion basiert. Die Klarstellung des BMF ist systematisch zutreffend: Zwar zeichnet das Umsatzsteuerrecht häufig das Zivilrecht nach, in erster Linie sind aber die MwStSystRL sowie die auf dieser Grundlage ergehende Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen. Gegenüber der MwStSystRL ist das deutsche Zivilrecht daher von untergeordneter Bedeutung. Anders als für den Bereich des Goldes in Form von Anlagegold (vgl. § 25c UStG – Lieferfiktion) existierte weder im UStG noch in der MwStSystRL eine explizite Regelung zu sonstigen Metallen. 
 
Eine Lieferung i. S. d. Umsatzsteuerrechts liegt definitorisch nur dann vor, wenn die Befähigung übertragen wird, wie ein Eigentümer im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen, § 3 Abs. 1 UStG und Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL. Rechte und sonstige Werte einschließlich Dienstleistungen sind hingegen keine Gegenstände im umsatzsteuerrechtlichen Sinne. Daher können Rechte auch nicht Gegenstand einer Lieferung sein. Die Parteien, die Geschäfte im Zusammenhang mit Gewichtskonten tätigen, müssen sich daher fragen: Wurde dem Geschäftspartner an dem (Edel )Metall Verfügungsmacht im Sinne der MwStSystRL verschafft (= Lieferung) oder nicht (sonstige Leistung)? Um der Praxis die Einordnung zu erleichtern, arbeitet die Finanzverwaltung mit Indizien: Solange zu Übergabeort, Form, Stückelung und Reinheit des Metalls noch keine Vorstellungen zwischen den Partnern bestehen, kommt dem Gewichtskonteninhaber nur ein konkretisierungsbedürftiger Rechtsverwirklichungsanspruch zu – nicht mehr und nicht weniger. Eine Verfügungsmacht im Sinne des Unionsrechts wird in diesen Fällen gerade nicht verschafft. Damit liegt keine Lieferung vor. Die Verfügung kann nur als sonstige Leistung qualifiziert werden. 
 
Neben „Lieferungen“ und „sonstigen Leistungen“ gibt es aber noch eine dritte Kategorie bei Transaktionen im Zusammenhang mit Gewichtskonten. Dabei handelt es sich laut dem BMF-Schreiben um nicht steuerbare Sachverhalte: 
  • Gewichtskontenbewegungen ohne Grundgeschäft (z. B. Umbuchungen zwischen Banken oder Anlieferungen mit Gutschrift auf dem Gewichtskonto)
  • Differenzgeschäft/Absicherungsgeschäft (im Zeitpunkt des Verkaufs des Edelmetalls wird mit dem Vertragspartner bereits ein Vertrag über den Rückkauf abgeschlossen, um Preis- und Liquidationsrisiken zu senken).
 
4 Empfehlungen für die Praxis 
Das BMF-Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Damit besteht Rechtssicherheit auch für die Vergangenheit. Da es auf das zugrunde liegende Grundgeschäft ankommt, ist die umsatzsteuerrechtliche Einordnung anhand der vom BMF festgestellten Indizien (Übergabeort, Form, Stückelung und Reinheit des Metalls) vorzunehmen. Steuerpflichtige müssen sich deshalb am Grundgeschäft orientieren und ggf. die AGBs um die entsprechenden Indizien erweitern, um zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen.
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 21.01.2022