Umsatzsteuer Newsletter 42/2019
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen Neuregelungen zur Marktplatzhaftung
Die Europäische Kommission hat am 10.10.2019 beschlossen, ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Hintergrund sind die zum 01.01.2019 in Kraft getretenen Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG zur Haftung von Online-Marktplätzen. Die Kommission fordert Deutschland auf, binnen zwei Monate Abhilfe zu schaffen, d.h. die Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG zulasten EU-Onlinehändler zu widerrufen.

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1 Hintergrund
Die Europäische Kommission hat am 10.10.2019 beschlossen, ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten (INF/19/5950). Hintergrund sind die zum 01.01.2019 in Kraft getretenen Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG zur Haftung von Online-Marktplätzen. § 22f UStG bestimmt besonderen Pflichten für Betreiber von elektronischen Marktplätzen. Gemäß § 25e UStG kann der Betreiber von elektronischen Marktplätzen in Haftung genommen werden, wenn der Onlinehändler, der auf seinem Marktplatz in Deutschland Waren vertreibt, seinen umsatzsteuerlichen Pflichten nicht oder nicht im vollen Umfang nachkommt (vgl. dazu KMLZ-Newsletter 08/2019 und 32/2018).
 
Betreiber von elektronischen Marktplätzen können nach § 25e Abs. 1 UStG in Haftung genommen werden, wenn Onlinehändler auf ihrem Marktplatz steuerpflichtige Lieferungen ausführen, ohne im Inland Umsatzsteuer abzuführen. Die Vorschrift normiert eine Gefährdungshaftung  für den Betreiber von elektronischen Marktplätzen. Der Betreiber von elektronischen Marktplätzen kann einer Haftung nach § 25e Abs. 1 UStG entgehen, wenn er nach § 25e Abs. 2 UStG nachweist, dass der Onlinehändler steuerlich registriert ist. Dies erfolgt durch eine Bescheinigung über die steuerliche Registrierung des Onlinehändlers (§ 22f Abs. 1 S. 2 UStG). Diese wird dem Onlinehändler auf Antrag von dem für ihn zuständigen deutschen Finanzamt in Papierform erteilt. Das Verfahren zur elektronischen Erstellung dieser Bescheinigung und Abfragemöglichkeit muss von der deutschen Finanzverwaltung erst noch eingeführt werden.
 
2 Auffassung der EU-Kommission
Nach Auffassung der EU-Kommission verstoßen die Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG gegen Unionsrecht. Dies ergibt sich aus der Verpflichtung der Betreiber von elektronischen Marktplätzen zur Vorlage einer sog. Erfassungsbescheinigung des Onlinehändlers. Diese Verpflichtung ist nach Auffassung der Kommission ineffizient und unverhältnismäßig. Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG (insb. im Hinblick auf das Bescheinigungsverfahren) wurden bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung geäußert.
 
Nach Auffassung der EU-Kommission behindert die Verpflichtung des Betreibers von elektronischen Marktplätzen zur Vorlage einer Erfassungsbescheinigung den Zugang von EU-Onlinehändlern zum deutschen Markt, was einen Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt. 
 
Darüber hinaus haben sich die Mitgliedstaaten bereits auf gemeinsame und effizientere Maßnahmen zur Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug geeinigt, die am 01.01.2021 in Kraft treten. Denn künftig wird eine Lieferkette ähnlich einem Kommissionsgeschäft (§ 3 Abs. 3 UStG) fingiert. Diese Annahme kommt nach Art. 14a Abs. 2 MwStSystRL n.F. immer dann zum Tragen, wenn ein innergemeinschaftlicher Verkauf von Gegenständen stattfindet, der Lieferant selbst seinen Sitz nicht in der EU hat und die Abnehmer keine Steuerpflichtigen sind. Der Marktplatzbetreiber wird so zum Steuerschuldner für die Lieferung an den Abnehmer. 
 
Gleiches gilt nach dem neuen Art. 14a Abs. 1 MwStSystRL für Sachverhalte, in denen die gelieferten Gegenstände unmittelbar aus dem Drittlandsgebiet eingeführt werden und der Warenwert max. EUR 150 beträgt.
 
Im Ergebnis geht die den Marktplatzbetreibern auferlegte Verpflichtung zur Vermeidung der Haftung über das in den EU-Vorschriften vorgesehene Maß hinaus und steht im Widerspruch zu den Zielen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt. 
 
3 Praxisfolgen
Die Kommission fordert Deutschland auf, binnen zwei Monate Abhilfe zu schaffen, d.h. die Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG zulasten EU-Onlinehändler zu widerrufen. Möglicherweise ließe sich der Anwendungsbereich der Neuregelungen in §§ 22f, 25e UStG lediglich auf Onlinehändler aus Drittländern beschränken.
 
Das Aufforderungsschreiben der Kommission ist der erste von mehreren Schritten des förmlichen Vertragsverletzungsverfahren, welche in den EU-Verträgen festgelegt sind und jeweils mit einem förmlichen Beschluss enden. Kommt Deutschland der Aufforderung zur Abhilfe nicht nach, kann die Kommission den deutschen Behörden in dieser Sache eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln. Stellt Deutschland daraufhin immer noch keine Übereinstimmung mit dem Unionsrecht her, kann die Kommission beschließen, dass der EuGH in dieser Sache urteilt. 
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Matthias Oldiges
Rechtsanwalt
Tel.: +49 89 217501266
matthias.oldiges@kmlz.de

Stand: 14.10.2019