Umsatzsteuer Newsletter 36/2018
BFH: Briefkastenadresse auf Rechnung zulässig – keine Bösgläubigkeit trotz Domiziladresse
In einer Rechnung für Zwecke des Vorsteuerabzugs muss als Anschrift des Leistenden nicht der Ort seiner wirtschaftlichen Tätigkeit angegeben werden. Dies hat der BFH in zwei Urteilen vom 21.06.2018 (V R 25/15 und V R 28/16) entschieden. Der BFH folgt damit dem EuGH in den deutschen Vorlageverfahren Geissel und Butin – C-374/16 und C-375/16. Es genügt, wenn der Leistende unter der angegebenen Anschrift erreichbar ist. So genügt z. B. auch die Angabe der Anschrift einer Anwaltskanzlei, die für weitere Gesellschaften als Domizilsitz dient. Die Domizilanschrift des Leistenden begründet auch keine Bösgläubigkeit beim Leistungsempfänger. Trotz eines Umsatzsteuerbetrugs in der Leistungskette hat der BFH im Verfahren V R 28/16 den Vorsteuerabzug anerkannt. Der Nachweis des Wissens oder Hätte-Wissen-Müssens wäre vom Finanzamt zu führen gewesen. Der Nachweis wurde nicht erbracht.

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1    Sachverhalt
In der Entscheidung V R 28/16 lieferte M Schrott an eine Organgesellschaft der Klägerin. M erstellte für die Schrottlieferungen Rechnungen mit Ausweis von Umsatzsteuer. Die Rechnungen nannten eine Adresse der M, an der sich Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei befanden. Diese Kanzlei diente auch als Domiziladresse für 15 bis 20 weitere Firmen. M verwendete zur Korrespondenz die Festnetz- und Faxnummern der Kanzlei und eine Mobilfunknummer. Ein eigener Arbeitsplatz oder Unterlagen der M waren dort nicht vorhanden. Die Geschäftsleitung von M erschien dort einmal im Monat mit einem Laptop und nutzte einen Schreibtisch. M verfügte weder über einen Lkw noch über ein Lager oder Angestellte. Der Steuerberater der M versicherte der Klägerin auf Anfrage, dass M ihre Umsätze ordnungsgemäß versteuere. Tatsächlich meldete M die Umsätze aus den Schrottlieferungen an die Klägerin aber nicht an. Das Finanzamt kürzte der Klägerin den Vorsteuerabzug. Sie sei in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden.

In der Entscheidung V R 25/15 nahm die Klägerin einen Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Z vor. Z vertrieb Fahrzeuge ausschließlich im Onlinehandel. Z hatte Räumlichkeiten angemietet, unterhielt dort jedoch kein Autohaus. An dem Gebäude war ein Firmenschild mit dem Aufdruck „Z“ angebracht. Dort ging auch Post für Z ein, wobei unklar ist, ob sich dort ein Briefkasten befand. Die Fahrzeuge übergab Z der Klägerin auf öffentlichen Plätzen.

2    BFH folgt EuGH: Briefkastenadresse ausreichend
Der BFH folgt der Rechtsprechung des EuGH in den deutschen Vorlageverfahren Geissel und Butin (Urt. v. 15.11.2017, C‑374/16 und C‑375/16). Nach der Entscheidung des EuGH verlangt der Begriff der „Anschrift“ auf einer Rechnung nicht, dass der Leistende an diesem Ort wirtschaftlich aktiv ist (vgl. KMLZ-Newsletter 38 | 2017). Es genügt vielmehr jede Art von Anschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Dies war in beiden Verfahren der Fall. Die Rechnungen waren folglich formell ordnungsgemäß.

3    Kein Wissen oder Hätte-wissen-Müssen trotz Domizilanschrift
Im Schrotthändlerfall (V R 28/16) scheiterte der Vorsteuerabzug auch nicht an einer etwaigen Bösgläubigkeit der Klägerin. Es gab zwar eine Umsatzsteuerhinterziehung in der Lieferkette. Diese ist für den Vorsteuerabzug der Klägerin jedoch unschädlich. Das Finanzgericht hatte festgestellt, dass das Finanzamt der Klägerin kein Wissen oder Hätte-Wissen-Müssen der Umsatzsteuerhinterziehung nachgewiesen habe. Weder seien entsprechende Anhaltspunkte tatsächlicher Art belegt noch sonstige Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin weitere Kontrollmaßnahmen hätte ergreifen müssen. Zu berücksichtigen seien dabei u. a. folgende Aspekte:

  • Die Strafverfahren gegen die Geschäftsführer der Klägerin seien gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
  • Telefonischer Erstkontakt und mündlicher Vertragsschluss seien in der Schrottbranche üblich.
  • Auf die Auskunft des Steuerberaters der M durfte die Klägerin vertrauen. Eine weitergehende Auskunft vom Finanzamt der M hätte die Klägerin wegen des Steuergeheimnisses ohnehin nicht erhalten.
  • Anders als den Finanzbehörden stehen den Steuerpflichtigen keine weitergehenden Eingriffsrechte zur Kontrolle des Vertragspartners zur Verfügung.
  • Die Geschäfte wurden unbar abgewickelt.
  • Die Handelsregistereintragung gab keinen Anlass zu weiteren Nachforschungen. Als Adresse der M war die Adresse der Anwaltskanzlei eingetragen. Der Gesellschaftszweck umfasste den Handel mit Metallabfällen.
  • Ungarische Kennzeichen und ungarische Fahrer der LKWs, mit denen der Schrott angeliefert wurde, führten nicht zur Bösgläubigkeit. Ungarn gehöre zur EU, es gelte die Freiheit des Personen- und Warenverkehrs.
  • Die Einkäufe bei M machten nur 0,3 % der Einkaufswerte der Klägerin aus.
  • Die Klägerin und ihre Geschäftsführer waren steuerlich bisher unbescholten.

Eine Würdigung des Sachverhalts anhand dieser Kriterien entspricht aus Sicht des BFH den allgemeinen Erfahrungssätzen und Denkgesetzen. Der Vorsteuerabzug sei folglich anzuerkennen.

4    Praxisfolgen
Der Zweck der Angabe der Anschrift auf der Rechnung ist erfüllt, wenn der Unternehmer unter dieser Anschrift tatsächlich erreichbar ist. Das Umsatzsteuerrecht wird mit diesen Entscheidungen ein Stück praxistauglicher. Der BFH hat in den beiden Verfahren für die Anschrift des Leistenden entschieden. Für die Anschrift des Leistungsempfängers kann jedoch nichts anderes gelten (so bereits Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE). Auch für die Angabe der Anschrift im Belegnachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen gem. § 17a UStDV dürfte diese Entscheidung erheblich sein.

Vielfach sehen sich Unternehmer dem Vorwurf der Bösgläubigkeit ausgesetzt. Der vorliegende Schrotthändlerfall zeigt deutlich, dass der Vorwurf der Behörde alleine nicht genügt. Vielmehr sind Nachweise erforderlich. So hatte das FG München in einer älteren Sache bereits zutreffend entschieden, dass auch „eine Fülle ungewöhnlicher Umstände“ den Nachweis der Bösgläubigkeit nicht ersetzt. Eine Domizilanschrift des Leistenden führt also nicht – jedenfalls nicht alleine – zur Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers und begründet für diesen keine weiteren Überprüfungspflichten. Bei der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen und einer Haftung nach § 25d UStG kann hier letztlich nichts anderes gelten.

Ansprechpartner:

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
thomas.streit@kmlz.de

Stand: 22.08.2018