1 Sachverhalt
In der Entscheidung V R 28/16 lieferte M Schrott an eine Organgesellschaft der Klägerin. M erstellte für die Schrottlieferungen Rechnungen mit Ausweis von Umsatzsteuer. Die Rechnungen nannten eine Adresse der M, an der sich Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei befanden. Diese Kanzlei diente auch als Domiziladresse für 15 bis 20 weitere Firmen. M verwendete zur Korrespondenz die Festnetz- und Faxnummern der Kanzlei und eine Mobilfunknummer. Ein eigener Arbeitsplatz oder Unterlagen der M waren dort nicht vorhanden. Die Geschäftsleitung von M erschien dort einmal im Monat mit einem Laptop und nutzte einen Schreibtisch. M verfügte weder über einen Lkw noch über ein Lager oder Angestellte. Der Steuerberater der M versicherte der Klägerin auf Anfrage, dass M ihre Umsätze ordnungsgemäß versteuere. Tatsächlich meldete M die Umsätze aus den Schrottlieferungen an die Klägerin aber nicht an. Das Finanzamt kürzte der Klägerin den Vorsteuerabzug. Sie sei in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden.
In der Entscheidung V R 25/15 nahm die Klägerin einen Vorsteuerabzug aus Rechnungen von Z vor. Z vertrieb Fahrzeuge ausschließlich im Onlinehandel. Z hatte Räumlichkeiten angemietet, unterhielt dort jedoch kein Autohaus. An dem Gebäude war ein Firmenschild mit dem Aufdruck „Z“ angebracht. Dort ging auch Post für Z ein, wobei unklar ist, ob sich dort ein Briefkasten befand. Die Fahrzeuge übergab Z der Klägerin auf öffentlichen Plätzen.
2 BFH folgt EuGH: Briefkastenadresse ausreichend
Der BFH folgt der Rechtsprechung des EuGH in den deutschen Vorlageverfahren Geissel und Butin (Urt. v. 15.11.2017, C‑374/16 und C‑375/16). Nach der Entscheidung des EuGH verlangt der Begriff der „Anschrift“ auf einer Rechnung nicht, dass der Leistende an diesem Ort wirtschaftlich aktiv ist (vgl. KMLZ-Newsletter 38 | 2017). Es genügt vielmehr jede Art von Anschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist. Dies war in beiden Verfahren der Fall. Die Rechnungen waren folglich formell ordnungsgemäß.
3 Kein Wissen oder Hätte-wissen-Müssen trotz Domizilanschrift
Im Schrotthändlerfall (V R 28/16) scheiterte der Vorsteuerabzug auch nicht an einer etwaigen Bösgläubigkeit der Klägerin. Es gab zwar eine Umsatzsteuerhinterziehung in der Lieferkette. Diese ist für den Vorsteuerabzug der Klägerin jedoch unschädlich. Das Finanzgericht hatte festgestellt, dass das Finanzamt der Klägerin kein Wissen oder Hätte-Wissen-Müssen der Umsatzsteuerhinterziehung nachgewiesen habe. Weder seien entsprechende Anhaltspunkte tatsächlicher Art belegt noch sonstige Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin weitere Kontrollmaßnahmen hätte ergreifen müssen. Zu berücksichtigen seien dabei u. a. folgende Aspekte:
Eine Würdigung des Sachverhalts anhand dieser Kriterien entspricht aus Sicht des BFH den allgemeinen Erfahrungssätzen und Denkgesetzen. Der Vorsteuerabzug sei folglich anzuerkennen.
4 Praxisfolgen
Der Zweck der Angabe der Anschrift auf der Rechnung ist erfüllt, wenn der Unternehmer unter dieser Anschrift tatsächlich erreichbar ist. Das Umsatzsteuerrecht wird mit diesen Entscheidungen ein Stück praxistauglicher. Der BFH hat in den beiden Verfahren für die Anschrift des Leistenden entschieden. Für die Anschrift des Leistungsempfängers kann jedoch nichts anderes gelten (so bereits Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE). Auch für die Angabe der Anschrift im Belegnachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen gem. § 17a UStDV dürfte diese Entscheidung erheblich sein.
Vielfach sehen sich Unternehmer dem Vorwurf der Bösgläubigkeit ausgesetzt. Der vorliegende Schrotthändlerfall zeigt deutlich, dass der Vorwurf der Behörde alleine nicht genügt. Vielmehr sind Nachweise erforderlich. So hatte das FG München in einer älteren Sache bereits zutreffend entschieden, dass auch „eine Fülle ungewöhnlicher Umstände“ den Nachweis der Bösgläubigkeit nicht ersetzt. Eine Domizilanschrift des Leistenden führt also nicht – jedenfalls nicht alleine – zur Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers und begründet für diesen keine weiteren Überprüfungspflichten. Bei der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen und einer Haftung nach § 25d UStG kann hier letztlich nichts anderes gelten.
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Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 22.08.2018