Umsatzsteuer Newsletter 24/2022
Kurgemeinden vor dem Vorsteuer-Aus?
Der BFH legt dem EuGH aktuell verschiedene Fragen zur steuerrechtlichen Behandlung von Kurortgemeinden vor. Anders als in sonstigen Fällen wollten diese Gemeinden unbedingt steuerpflichtig sein, um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu kommen. Mit seiner Vorlage will der BFH gleichzeitig die für alle Steuerpflichtigen wichtige Frage klären, ob ein Leistungsaustausch auch dann vorliegen kann, wenn nur ein bestimmter Personenkreis für die angebotenen Leistungen ein Entgelt zu entrichten hat.

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1 Hintergrund
Kurortgemeinden wurden bisher großzügig von der Finanzverwaltung behandelt. Die Erhebung eines Kurbeitrages wird als unternehmerische Tätigkeit angesehen. Aus diesem Grund wurde der Vorsteuerabzug umfassend auf sämtliche Kureinrichtungen (Wege, Plätze, besondere Gebäude, Busse, Winter-/Sommeranlagen) gewährt. Die Kurortgemeinden durften ihre Kureinrichtungen gänzlich ihrem Unternehmensbereich zuordnen und damit vollen Vorsteuerabzug geltend machen. Die (hoheitliche) Nutzung durch die Allgemeinheit wurde im Wege der unentgeltlichen Wertabgabe korrigiert. 
 
Im Jahr 1990 versagte der BFH dann im Fall einer öffentlich-rechtlichen Widmung der Kureinrichtung den Vorsteuerabzug. In 2017 schränkte der BFH den Vorsteuerabzug noch weiter ein, indem er nur noch eine anteilige Zuordnung zum Unternehmensbereich erlaubte. Auch stellte er fest, dass ein Vorsteuerabzug nur noch dann erfolgen könne, wenn eine Sondernutzung durch den Kurgast möglich ist, also ein Allgemeingebrauch der Einrichtung ausgeschlossen wird. 
 
Die Kurortgemeinden waren froh, dass die Finanzverwaltung erst in 2021 das BFH-Urteil für anwendbar erklärte. Zunächst vertrat das BMF die Auffassung, dass die neuen Regeln (und damit auch § 15a UStG) in allen offenen Fällen anzuwenden seien. Dank der vehementen Forderungen der bayerischen Kurortgemeinden zeigte das BMF dann mit Schreiben vom 25.05.2022 ein Einsehen: Die neuen Regeln sollten erst ab dem 01.01.2018 gelten. 
 
2 Neue BFH-Vorlage an den EuGH
Im aktuellen Fall geht es wieder um eine Kurortgemeinde. Dieses Mal hat sich der BFH zuvorderst mit der Frage beschäftigt, ob in dem Kurbeitrag ein Leistungsaustausch gesehen werden kann und die Gemeinde überhaupt als Unternehmer handelt. Die Gemeinde erhob im Rahmen einer kommunalen Satzung (öffentlich-rechtliche Sonderregelung) eine sog. Kurtaxe von allen Gästen. Mit den Einnahmen aus der Kurtaxe finanzierte die Gemeinde die Herstellung, den Unterhalt und die Sanierung von Kureinrichtungen (z.B. Kurpark, Kurhaus, Wege). Diese Einrichtungen waren für jedermann frei zugänglich; eine Kurkarte wurde zum Eintritt nicht benötigt. Die Gemeinde sah die Kurtaxe als Entgelt für die umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit (Kurbetrieb) und begehrte den vollen Vorsteuerabzug aus allen Eingangsleistungen, die mit dem Fremdenverkehr zusammenhingen. Das Finanzamt allerdings sah dies ganz anders und strich den Vorsteuerabzug in weiten Teilen. 
 
Der BFH nimmt den Fall nun zum Anlass und legt dem EuGH die Frage vor, ob in der Kurtaxe überhaupt ein Leistungsaustausch gesehen werden kann. Denn Voraussetzung für einen Leistungsaustausch ist, dass der Empfänger aus der Leistung einen konkreten Vorteil zieht. Da im Streitfall die Kureinrichtungen auch von nicht kurtaxepflichtigen Personen genutzt werden konnten, sei der Leistungsempfänger nicht identifizierbar. Der BFH ist sich an dieser Stelle aber nicht sicher, da im Falle einer isolierten Betrachtung des Rechtsverhältnisses zwischen Gemeinde und Kurgast durchaus ein Leistungsaustausch bejaht werden könnte. Ähnlich hat der EuGH dies auch schon in der Entscheidung Borsele gesehen. Dort hatte nur ein Drittel der Eltern für den Schülertransport gezahlt. 
 
Mit seiner zweiten Frage will der BFH – für den Fall, dass ein Leistungsaustausch überhaupt bejaht wird – schließlich wissen, ob die Gemeinde aufgrund der Sonderregeln für juristische Personen des öffentlichen Rechts ggf. nicht als „Unternehmerin“ aufgetreten ist. Denn u.U. käme es zu keiner Wettbewerbsverzerrung, da in dem gleichen Gemeindegebiet kein privater Anbieter diese Kurleistungen erbringen durfte. Der BFH ist aber unsicher, ob bei der Frage der Wettbewerbsverzerrung nicht über den Tellerrand der eigenen Gemeinde geblickt werden muss, so dass bei der Beurteilung benachbarte Kurorte, in denen z.B. Kurleistungen von einer privatrechtlichen GmbH erbracht werden, einzubeziehen wären. 
 
3 Auswirkungen auf die Praxis
Die Vorlage an den EuGH ist aus gleich dreierlei Sicht hochinteressant. Zum einen geht es um die „banale“ Frage, ob ein Leistungsaustausch auch dann vorliegt, wenn nur ein bestimmter Personenkreis für die Leistungen zahlen muss. Dies kann auch für andere Fälle relevant sein, wie z.B. jene, in denen von Kindern / Ehepartnern kein Eintritt verlangt wird. Wir selbst tendieren zum Leistungsaustausch und würden eher beim Unternehmerbegriff ansetzen und dort die – vom BFH nur sehr kurz thematisierte – Frage stellen, ob der Steuerpflichtige wie ein wirtschaftlich orientierter Marktteilnehmer auftritt. 
 
Für Körperschaften des öffentlichen Rechts dürfte darüber hinaus interessant sein, wie weit der Wettbewerbsbegriff zu sehen ist: Eher isoliert auf das einzelne Gemeindegebiet oder sehr viel weiter? Sind in die Beurteilung auch Nachbargemeinden, andere Bundesländer oder gar das Bundesgebiet einzubeziehen? Dies könnte über den Einzelfall hinaus große Sprengkraft besitzen. Nach dem BMF-Schreiben vom 16.12.2016 zu § 2b UStG ist in gewissen Fällen allein auf den lokalen Markt abzustellen (Rn. 27 ff.). Durch ein neuerliches EuGH-Urteil könnte sich das noch einmal ändern.
 
Drittens ist die Vorlage interessant, weil sie dem BMF nochmals Gelegenheit bieten wird, den Vorsteuerabzug aus einer Kureinrichtung doch nicht so eng zu sehen. Denn zwischenzeitlich gibt es auch die Hängeseilbrücken-Rechtsprechung des BFH, in der dieser den Vorsteuerabzug aus dem Bau einer Hängeseilbrücke zugelassen hat, obgleich diese kostenlos von der Allgemeinheit genutzt werden durfte (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 10│2022). Hier sah der BFH den für den Vorsteuerabzug notwendigen Zusammenhang in der entgeltlichen (steuerpflichtigen) Bereitstellung eines Parkplatzes in der Nähe der Brücke. Ähnlich verhält es sich aber beim Bau und Unterhalt von Kureinrichtungen, egal ob sie öffentlich gewidmet wurden oder nicht: Eine Kurortgemeinde errichtet diese primär, um die Kurtaxe zu erhalten. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 10.06.2022