Umsatzsteuer Newsletter 15/2018
EuGH versagt Herabsetzung von Erstattungszinsen
Gesetzlich vorgesehene Erstattungszinsen nicht individuell abänderbar: Die Mitgliedstaaten müssen die in ihren Gesetzen geregelten Erstattungszinsen in voller Höhe auszahlen. Nach Auffassung des EuGH gilt dies auch dann, wenn die Erstattungszinsen im konkreten Fall höher sind als die tat-sächlich erlittenen finanziellen Nachteile des Steuerpflichtigen (Urt. v. 28.02.2018 – C-387/16 – Nidera). Für die Diskussion, ob die Höhe der deutschen Nachzahlungszinsen (6 % p.a.) rechtmäßig ist, könnte das Urteil Auswirkungen haben.

Suche

Der EuGH hatte sich in der Vergangenheit bereits häufiger mit der Verzinsung von Erstattungsansprüchen auseinanderzusetzen. Einzelfallbezogenen Maßnahmen der Mitgliedstaaten, um Erstattungszinsen zu verringern, dürfte er nun aber endgültig den rechtlichen Boden entzogen haben.

1.     Sachverhalt

Die niederländische Klägerin kaufte Anfang 2008 in Litauen lokal Waren ein. Erst im August 2008 – also nach Leistungsbezug – wurde die Klägerin in Litauen umsatzsteuerlich registriert. Mit ihrer Umsatzsteuererklärung für August 2008 verlangte sie von der litauischen Finanzverwaltung die Erstattung der entrichteten Umsatzsteuern (ca. € 3,4 Mio.).

Im November 2008 leitete das Finanzamt ein Steuerprüfungsverfahren gegen die Klägerin ein und lehnte die Umsatzsteuererstattung ab. Denn die Klägerin sei zum Lieferzeitpunkt noch nicht umsatzsteuerlich registriert gewesen. Nach nationalem Recht sei dies jedoch Voraussetzung für die Vorsteuerabzugsberechtigung. Im November 2010 erkannte die Kommission für Steuerstreitigkeiten aufgrund von EuGH-Rechtsprechung jedoch an, dass die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt war. Infolgedessen erstattete das Finanzamt die geltend gemachten Vorsteuern, allerdings ohne Zinsen. Auf Beschwerde der Klägerin zahlte das Finanzamt schließlich Zinsen, jedoch nur für den Zeitraum ab Urteil der Kommission für Steuerstreitigkeiten bis zur Erstattung der Vorsteuern (Nov. – Dez. 2010). Die Klägerin verlangte daraufhin auf gerichtlichem Wege die Zinsen für den Zeitraum ab Beginn des Steuerprüfungsverfahrens bis zur Erstattung der Vorsteuern (Nov. 2008 – Dez. 2010).

Das vorlegende Gericht hatte bereits im Vorabentscheidungsersuchen eingeräumt, dass die Verzugszinsen ab 30 Tagen nach Eingang des Erstattungsantrags zu berechnen seien. Nun wollte es vom EuGH wissen, ob nationale Behörden, einschließlich der Gerichte, die geschuldeten Zinsen unter Berufung auf besondere Umstände des Einzelfalls herabsetzen dürften. Solche Umstände könnten das Verhältnis zwischen Zinsen und Erstattungsbetrag, der Zeitraum und die Gründe für die ausgebliebene Erstattung sowie die tatsächlichen Verluste des Steuerpflichtigen sein.

2.     Entscheidungsgründe

Nach Ansicht des EuGH dürfen die Mitgliedstaaten und deren Gerichte generell geregelte Erstattungszinsen nicht im Einzelfall herabsetzen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Steuerfestsetzung nicht aufgrund des Verhaltens des Steuerpflichtigen gemindert wird.

Der EuGH folgert dies aus Art. 183 MwStSystRL. Die Regelung trifft zwar keine Aussage zu Zinsen. Verzinsungsregelungen liegen in der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Trotzdem sind die Mitgliedstaaten bei der Erstattung von Mehrwertsteuerüberschüssen nicht frei von jeder unionsrechtlichen Kontrolle. Grenzen ergeben sich insbesondere aus dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Danach müssen die Mitgliedstaaten dem Steuerpflichtigen ein System der Steuererstattung zur Verfügung stellen, das zu keinem finanziellen Risiko für ihn führt. Die finanziellen Verluste, die dem Steuerpflichtigen durch eine nicht fristgemäße Erstattung entstehen, müssen dem Steuerpflichtigen daher nach Auffassung des EuGH durch Verzugszinsen ausgeglichen werden. Eine individuelle Herabsetzung der Verzugszinsen würde den Steuerpflichtigen der Gefahr aussetzen, dass sein finanzieller Nachteil nicht für den gesamten Zeitraum der Nichterstattung ausgeglichen wird. Außerdem hätte das Finanzamt keinen Anreiz, zeitnah Erstattungen vorzunehmen. Schließlich komme es auch nicht auf die tatsächlichen Verluste des Steuerpflichtigen an. Denn dies würde dazu führen, dass der Steuerpflichtige seine tatsächlichen Verluste nachweisen müsste, was in der Regel nur schwer möglich ist.

3.   Auswirkungen für die Praxis

Die Mitgliedstaaten können nach Auffassung des EuGH ohne Weiteres pauschalierte Verzugszinsen vorsehen. Für eine effiziente Steuerverwaltung sei dies regelmäßig unerlässlich. Ein solches System führt aber zwangsläufig dazu, dass der durch die Verzugszinsen geleistete Schadensersatz regelmäßig nicht dem tatsächlichen finanziellen Schaden des Steuerpflichtigen entspricht. Ausgeglichen wird in einem solchen System nicht der tatsächliche Schaden, sondern der Schaden, den der Steuerpflichtige (nach Einschätzung des nationalen Gesetzgebers) erleiden kann. Dies hat der EuGH im vorliegenden Urteil ausdrücklich festgehalten. Hat sich ein Mitgliedstaat für die Zahlung pauschalierter Verzugszinsen entschieden, kann er nicht gleichzeitig die Möglichkeit vorsehen, die Zahlung von Verzugszinsen zu beschränken oder gar auszuschließen.

Aus Gründen der Rechtssicherheit ist das Urteil des EuGH zu begrüßen. Probleme bei der Verzinsung von Erstattungsansprüchen treten immer wieder insbesondere in osteuropäischen Mitgliedstaaten wegen des Beginns und der Höhe von Erstattungszinsen auf. Für Unternehmen, die in diesen Ländern Steuerrückerstattungen erwarten, kann das Urteil daher wichtige Schützenhilfe leisten. Im Verbund mit den früheren EuGH-Urteilen Maritsa Iztok 3 (Urt. v. 12.05.2011 – C-107/10) und Rafinăria Steaua Română(Urt. v. 24.10.2013 – C-431/12) dürfte es den Mitgliedstaaten zukünftig nicht mehr erlaubt sein, durch die Einleitung von Steuerprüfungen oder sonstigen einzelfallbezogenen Maßnahmen Zinszahlungen zu mindern. Ob sich mit dem Urteil die Diskussion um die (zu hohen) deutschen Nachzahlungszinsen erledigt hat, bleibt fraglich. U.E. ist dies nicht zu erwarten. Denn im vorliegenden Fall war die Höhe des Zinssatzes kein Thema. Das litauische Recht sieht einen variablen Zinssatz vor.

 

Ansprechpartner:

Dr. Sandro Nücken, LL.B.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501243
sandro.nuecken@kmlz.de

Stand: 29.03.2018