Umsatzsteuer Newsletter 14/2018
EuGH: Vorsteuervergütung bei nachträglichem Steuerausweis
Weist ein Unternehmer in Rechnungen nachträglich Umsatzsteuer für Umsätze aus, die er bislang ohne Umsatzsteuer abgerechnet hatte, steht dies einer Vergütung der Vorsteuer beim Leistungsempfänger im Wege des Vorsteuervergütungsverfahrens nicht entgegen. Etwaige Ausschlussfristen sind unbeachtlich, wenn der Leistungsempfänger das Erstattungsrecht nicht vorher ausüben konnte, da er weder im Besitz der Rechnung war noch von der Mehrwertsteuerschuld wusste (EuGH, Urt. v. 21.03.2018 – C-533/16 – Volkswagen AG). Das materielle Recht durchbricht hier das formelle Recht.

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1.    Sachverhalt
Hella hat in den Jahren 2004 bis 2010 Formen zur Herstellung von Leuchtkörpern für Fahrzeuge in der Slowakei an Volkswagen geliefert und abgerechnet. Hella ging davon aus, dass es sich bei den Zahlungen um einen reinen finanziellen, also nicht umsatzsteuerpflichtigen Ausgleich handelt. Aus diesem Grund hat Hella in den Rechnungen zunächst keine Umsatzsteuer ausgewiesen.

Nachdem Hella in 2010 diesen Irrtum bemerkt hatte, stellte Hella nachträglich Umsatzsteuer in Rechnung und versteuerte die Umsätze. Volkswagen beantragte in 2011 sodann die Vorsteuervergütung in der Slowakei. Die slowakischen Behörden gaben dem Antrag nur für die Lieferungen der Jahre 2007 bis 2010 statt. Für die Lieferungen der Jahre 2004 bis 2006 sei die im nationalen Recht geregelte fünfjährige Ausschlussfrist bereits abgelaufen. Deshalb wurde der Antrag insoweit abgelehnt. Das Recht auf Erstattung der Umsatzsteuer sei bereits im Zeitpunkt der Lieferung der Ware entstanden, weshalb die Frist abgelaufen sei.

Das Oberste Gericht der Slowakischen Republik musste den Beginn der Fünfjahresfrist prüfen. In diesem Zusammenhang hat das Gericht dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das Gericht wollte unter anderem wissen, ob die Richtlinie 2008/9 und das Recht auf Erstattung der Vorsteuern kumulativ verlangen, dass sowohl der Gegenstand geliefert oder die Dienstleistung erbracht wurde, als auch dass ein entsprechender Steuerausweis in der Rechnung erfolgt ist. Ferner fragte das Gericht danach, ob es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Neutralität vereinbar ist, wenn die Frist für die Steuererstattung ab einem Zeitpunkt gerechnet wird, in dem nicht alle materiell-rechtlichen Bedingungen des Rechts auf Steuererstattung erfüllt sind.

2.    Rechtliche Würdigung des EuGH
Zunächst wiederholt der EuGH Rechtserkenntnisse, die er bereits in anderen Entscheidungen geäußert hatte. Das Recht zum Vorsteuerabzug sei ein Grundprinzip des Mehrwertsteuerrechts. Die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmers soll vollständig von Mehrwertsteuer entlastet werden, sofern seine Tätigkeit der Mehrwertsteuer unterliegt. Das Recht zum Vorsteuerabzug kann sofort ausgeübt werden, ist jedoch an formelle und materielle Bedingungen geknüpft. Diese Bedingungen ergeben sich grds. aus der MwStSystRL. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei grds. im gleichen Zeitraum auszuüben, in dem der Anspruch auf die Steuer entstanden ist. Die Ausübung des Rechts sei jedoch erst mit Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung möglich.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet es aus Sicht des EuGH jedoch, das Abzugsrecht zeitlich zu beschränken. Handelt ein Steuerpflichtiger nicht sorgfältig, ist eine Ausschlussfrist als Sanktion zulässig, wenn die Ausschlussfrist den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität genügt. Zudem ermögliche Art. 273 MwStSystRL Maßnahmen zum Schutz vor Steuerhinterziehung.

Dennoch gelangte der EuGH im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Ausschlussfrist nicht greifen könne. Volkswagen war es unmöglich, das Erstattungsrecht vor der Rechnungsberichtigung auszuüben, da Volkswagen vorher weder im Besitz der Rechnungen war noch von der Mehrwertsteuerschuld wusste. Erst mit Erhalt der Berichtigungen waren die materiellen und formellen Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug gegeben. Zudem lag seitens Volkswagen aus Sicht des EuGH kein Mangel an Sorgfalt vor, es gab weder Missbrauch noch kollusives Zusammenwirken. Die Gefahr der Steuerhinterziehung oder der Nichtabführung der Umsatzsteuer sah der EuGH nicht. Unter diesen Umständen konnte zum Schutz des Leistungsempfängers die Ausschlussfrist nicht bereits mit der Lieferung der Gegenstände beginnen.

3.    Fazit
Wer sich im Nachgang der Entscheidung des EuGH in der Rs. Senatex (Urt. v. 15.09.2016 – C-518/14) mehr Klarheit zu Fragen der rückwirkenden Rechnungsberichtigung erhofft hat, sieht sich durch das Urteil wohl weitgehend enttäuscht. Eine klare Aussage, für welchen Zeitraum der EuGH den Erstattungsanspruch anerkannt wissen will und ob im vorliegenden Fall die Rechnungsberichtigung möglichweise zurückwirkt, tätigt er nicht. Auf Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/9, wonach sich der Vergütungsantrag grds. auf Vorsteuern beziehen muss, die während des Vergütungszeitraums in Rechnung gestellt werden, geht er nicht ein. Entscheidend kam es ihm wohl darauf an, dass das materielle Recht und damit das Recht zum Vorsteuerabzug sich ggü. dem formellen Recht durchsetzt. Damit liegt diese Entscheidung auf einer Linie mit zahlreichen weiteren EuGH-Entscheidungen, die eine deutliche Tendenz zeigen: Unternehmer, die sorgsam handeln, werden geschützt.

Was auch im vorliegenden Fall für eine Rückwirkung spräche, wäre der Gesichtspunkt, dass Volkswagen nicht erst mit der Zahlung des später ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrages an Hella mit Umsatzsteuer belastet ist, sondern bereits der ursprünglich bezahlte vermeintliche Nettobetrag in Wirklichkeit ein Bruttobetrag war, der einen Umsatzsteueranteil beinhaltete. Der Grundsatz des Sofortabzuges könnte also eine Rückwirkung gebieten.  

Das Urteil ist auch von Interesse für Vorsteuererstattungen in Ländern wie z. B. Italien oder Tschechien, wo es vergleichbare Ausschlussfristen im Veranlagungsverfahren gibt.

Ansprechpartner:

Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 89 217501275
thomas.streit@kmlz.de

Stand: 27.03.2018