Umsatzsteuer Newsletter 11/2024
Kurgemeinden können wieder auf den Vorsteuerabzug hoffen
Kurortgemeinden können etwas aufatmen. Der Vorsteuerabzug aus der Anschaffung und Herstellung von Kureinrichtungen ist unter bestimmten Voraussetzungen (wieder) möglich. Der BFH hat mit zwei Entscheidungen, die am gleichen Tag veröffentlicht wurden, für Klarheit gesorgt.
1 Hintergrund
Sie erinnern sich: Erst im Juli 2023 hatte der EuGH entschieden (EuGH v. 13.07.2023, C-344/22, Gemeinde A, KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 33 ǀ 2023), dass eine Gemeinde bei der Erhebung der Kurtaxe nicht im Rahmen eines umsatzsteuerlichen Leistungsaustausches gegenüber den Besuchern tätig wird, wenn die Kureinrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind. Viele Kurgemeinden sahen sich wegen dieser Rechtsprechung vor dem finanziellen Ruin. Denn sie profitierten häufig von Vorsteuerüberhängen aus der Anschaffung und Herstellung von Kureinrichtungen. Die zukünftige Nichtsteuerpflicht der Kurtaxe war für die meisten deshalb nur ein schwacher Trost. 
 
Zuvor hatte bereits die Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug stark eingeschränkt: Er wurde nur noch gewährt, wenn der Kurgast die Möglichkeit zur Sondernutzung der Kureinrichtungen hatte, also ein Allgemeingebrauch ausgeschlossen war. Das BMF gewährte mit Schreiben vom 25.05.2022 zwar noch eine Art Übergangsregelung, die meisten Gemeinden sahen ihre Felle aber schon davonschwimmen. 
 
2 Nachfolgeentscheidung des BFH vom 18.10.2023 und weiteres Urteil vom 06.12.2023 
Wie so häufig, kommt es anders als zunächst befürchtet. Denn der BFH traf nicht nur die Nachfolgeentscheidung in dem Verfahren „Gemeinde A“ (XI R 21/23). Er nutzte auch die Gelegenheit, anhand eines weiteren anhängigen Verfahrens aus Schleswig-Holstein seine Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei Kurgemeinden völlig neu auszurichten (XI R 33/21). Beide Urteile wurden nun gemeinsam am 28.03.2024 veröffentlicht.
 
Das Verfahren aus Schleswig-Holstein wies einen großen Unterschied im Sachverhalt auf: Während in dem EuGH-Verfahren Gemeinde A jedermann freien Zugang zu den Kureinrichtungen hatte, war es in dem Fall aus Schleswig-Holstein genau andersherum: Die Kurgäste erhielten bei Zahlung der Kurtaxe eine Gästekarte, die auf Verlangen des Aufsichtspersonals vorzuzeigen war. Tagesgäste mussten hingegen keine Kurtaxe zahlen. Für sie war nach der örtlichen Satzung aber eine erhöhte Tageskurabgabe fällig, die im Falle einer Überprüfung direkt an die Kontrolleure der Kurverwaltung zu entrichten war. 
 
Den Einwand des Finanzamts, dass die Kurtaxe satzungsgemäß pro Aufenthaltstag erhoben werde und nicht an die tatsächliche Nutzung der Kureinrichtung geknüpft sei, ließ der BFH in diesem Zusammenhang nicht gelten. Ausschlaggebend sei vielmehr die Tatsache, dass dem Kurgast nach dem nationalen Abgabenrecht mit der Bereitstellung der Kureinrichtungen ein konkreter Vorteil vermittelt wird. Dieser Vorteil sei, so der BFH, aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht grundsätzlich auch verbrauchsfähig. Ob der Gast die Kureinrichtungen tatsächlich in Anspruch nimmt, ist unerheblich. Ausreichend für den umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch sei schließlich die Leistungsbereitschaft und nicht der Umfang der Inanspruchnahme der konkreten Leistung.
 
3 Auswirkungen auf die Praxis
Es ist gut, dass der BFH die beiden Urteile zusammen veröffentlicht und damit wieder für Klarheit gesorgt hat. Kurortgemeinden können auch in Zukunft in den Genuss des Vorsteuerabzugs kommen. Entgegen den Vorgaben der Finanzverwaltung in Abschn. 15.19 Abs. 2 UStAE kommt es nicht in erster Linie darauf an, ob die Einrichtungen nach Landesrecht durch öffentlich-rechtliche Widmung als dem Gemeingebrauch zugänglich anzusehen sind oder ob die Einrichtungen ausdrücklich oder konkludent der Öffentlichkeit zur Nutzung überlassen werden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Kureinrichtungen nicht für jedermann frei und unentgeltlich verfügbar sind. Dafür reicht es aus, dass die Gemeinde bei Entrichtung der Kurtaxe Gästekarten ausgibt, die dann auch kontrolliert werden. Wie häufig und wie intensiv kontrolliert werden muss, ist für den BFH offenbar nicht wesentlich. Es ist sogar unproblematisch, dass bei Tagesgästen erst bei Kontrolle die Tageskurabgabe zur Zahlung fällig wird. Dieser pragmatische Ansatz des BFH ist für die Praxis zu begrüßen. 
 
Deshalb gilt: Bei richtiger Ausgestaltung der Kurbeitragssatzung ist der Vorsteuerabzug weiterhin möglich. Positiv vermerkt werden kann, dass der BFH nicht zu hohe Anforderungen an die Frage stellt, ob die Kureinrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind. Bei der Nutzung der Kureinrichtungen ist insbesondere keine Eintrittskontrolle erforderlich. Vielmehr reichen einfache Kontrollen aus. 
 
Ungelöst bleibt das Problem mit der Nutzung der Kureinrichtungen durch die örtlichen Einwohner. Der BFH verweigerte insoweit den Vorsteuerabzug, da die einheimische Bevölkerung die Kureinrichtungen unentgeltlich nutzen konnte. Will eine Gemeinde daher zukünftig den vollen Vorsteuerabzug aus der Herstellung oder Anschaffung von Kureinrichtungen erlangen, so müssten auch die eigenen Einwohner zur Kurtaxe herangezogen werden. Ob die örtliche Politik aber so weit gehen mag, darf bezweifelt werden. Die nächste Wiederwahl wäre dann nicht mehr gesichert.
 
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Stand: 04.04.2024