Umsatzsteuer Newsletter 02/2024
FG Köln: § 14c UStG verstößt gegen EU-Recht – keine Steuerschuld ohne Steuergefährdung – keine Steuerschuld bei Gutgläubigkeit
§ 14c UStG verstößt gegen EU-Recht. Und das gleich in zweierlei Hinsicht. So hat es das FG Köln in einem von KMLZ vertretenen Verfahren entschieden (Urt. v. 25.07.2023, Az. 8 K 2452/21). Zum einen liegt keine Steuerschuld nach § 14c UStG vor, wenn keine Steuergefährdung besteht, da die Rechnungsempfänger zu dem Personenkreis gehören, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (im Streitfall waren es u.a. Verwaltungsbehörden, Gerichte, Unternehmer, die unter § 4 Nr. 26 UStG fallen). Zum anderen liegt keine Steuerschuld nach § 14c UStG vor, wenn der Rechnungsaussteller gutgläubig Umsatzsteuer in der Rechnung ausgewiesen hat. Die Aussagen des FG Köln sind wegweisend und für eine Vielzahl an Fallgestaltungen bedeutsam.
1 Hintergrund
Weist ein Rechnungsaussteller zu viel Umsatzsteuer in einer Rechnung aus (unrichtig oder unberechtigt), schuldet er grds. den Steuerbetrag nach § 14c UStG (Art. 203 MwStSystRL). Diese Steuerschuld kann der Rechnungsaussteller unter den in § 14c Abs. 1 Satz 2, Satz 3 UStG oder in § 14c Abs. 2 Satz 3 – 5 UStG genannten Voraussetzungen wieder beseitigen. In der Rs. P-GmbH (Urt. v. 08.12.2022 – C-378/21, vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 57 ǀ 2022) hatte der EuGH in einem österreichischen Fall den Anwendungsbereich des Art. 203 MwStSystRL nach seinem Sinn und Zweck eingeschränkt. Eine Steuerschuld durch Steuerausweis entsteht demnach nicht, wenn der gesonderte Umsatzsteuerausweis nicht zu einer Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens führt, weil die Rechnungsempfänger nicht vorsteuerabzugsberechtigt sind (im Fall P-GmbH waren es Verbraucher). 
 
2 Sachverhalt
Gegenstand des von KMLZ geführten Verfahrens vor dem FG Köln war die Frage, ob die förmlichen Zustellungen der Klägerin (Kl.), sog. PZA-Leistungen, als Post-Universaldienstleistungen gem. § 4 Nr. 11b UStG umsatzsteuerfrei sind. Die Kl. rechnete aufgrund einer verbindlichen Auskunft des FA teilweise PZA-Leistungen (entgegen ihrer eigenen rechtlichen Sichtweise) mit gesondertem Umsatzsteuerausweis in den Rechnungen an ihre Kunden ab. Später erkannte das FA einen Teil dieser PZA-Leistungen als steuerbefreit an und setzte insoweit Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG fest. Die Kl. und das FA hatten unstreitig gestellt, dass die Kl. ihre Leistungen weit überwiegend an Kunden erbrachte, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (Behörden, Gerichte, Unternehmer, die unter § 4 Nr. 26 UStG fallen, etc.). Lediglich eine sehr geringe Zahl an Leistungen, für die ein gesonderter Steuerausweis in den Rechnungen erfolgte, erbrachte die Kl. unstreitig an vorsteuerabzugsberechtigte Kunden. Die Kl. berief sich unmittelbar auf das Unionsrecht und trug vor, dass ihr ein Erstattungsanspruch zustehe. Zum einen gäbe es in den meisten Fällen keine Steuergefährdung. Zum anderen habe sie gutgläubig gehandelt.
 
3 Entscheidung des FG Köln
Das FG Köln (Urt. v. 25.07.2023, Az. 8 K 2452/21) gab der Klage vollumfänglich statt. Es erkannte die Leistungen der Kl. als umsatzsteuerfrei an. Auch eine Steuerschuld nach § 14c UStG bestehe nicht. Soweit die Kl. Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis an Personen ausgestellt hat, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, legt das FG § 14c Abs. 1 UStG richtlinienkonform aus. Zumindest aber sei das Unionsrecht zugunsten der Kl. unmittelbar anwendbar, worauf sich die Kl. auch berufen habe. § 14c Abs. 1 UStG/Art. 203 MwStSystRL findet keine Anwendung, wenn das Steueraufkommen nicht gefährdet ist. Zwischen Kl. und FA war unstreitig, dass der weit überwiegende Teil der Rechnungen an Personen erteilt wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind (u.a. Gerichte, Verwaltungsbehörden, Schiedspersonen). Das FG folgt insoweit den Grundsätzen aus der Rs. P-GmbH. Dass – anders als bei der P-GmbH – Rechnungsempfänger keine Privatpersonen waren, sondern andere Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, rechtfertigt aus Sicht des FG kein anderes Ergebnis. Da § 14c Abs. 1 UStG / Art. 203 MwStSystRL keine Anwendung findet, muss die Kl. auch keinerlei Korrekturhandlungen ggü. den Rechnungsempfängern vornehmen: Weder bedarf es einer Rechnungskorrektur noch einer Rückzahlung des Steuerbetrages an die Rechnungsempfänger. Soweit die Kl. in einer geringen Zahl an Fällen Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis an Personen ausgestellt hat, die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, spricht das FG der Kl. ebenfalls einen Steuererstattungsanspruch zu. Die Kl. habe gutgläubig gehandelt. Sie habe sich beim Steuerausweis in den Rechnungen auf die (rechtswidrige) verbindliche Auskunft des FA verlassen und durfte dies auch. Aus der Rechtsprechung des EuGH ergebe sich, dass im Fall der Gutgläubigkeit keine Korrekturhandlung nötig sei, um eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL zu beseitigen. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 14c UStG scheide hier zwar aus. Jedoch sei das Unionsrecht zugunsten der Kl. unmittelbar anwendbar, worauf sie sich auch berufen habe. Korrekturhandlungen (Rechnungsberichtigung oder Rückzahlung) der Kl. sind auch hier nicht nötig.
 
4 Praxishinweise
Beim vorliegenden Urteil des FG handelt es sich – soweit ersichtlich – um die erste Entscheidung eines deutschen Finanzgerichts, das die Rs. P-GmbH auf das deutsche Recht anwendet. Es ist folgerichtig, Art. 203 MwStSystRL auch dann nicht anzuwenden, wenn andere nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Personen (als Privatpersonen) die Rechnungen erhalten. Was den Ausschluss des § 14c UStG bei Gutgläubigkeit anbelangt, liegt hier – soweit ersichtlich – ebenfalls die erste Entscheidung eines deutschen FG vor. Unternehmer werden im Bereich des Umsatzsteuerrechts als Steuereinsammlungsgehilfe des Staates tätig. Da ist es konsequent, einen Unternehmer, der in dieser Funktion einen Umsatzsteuerausweis in einer Rechnung vornimmt, weil der Staat dies von ihm fordert, zu schützen. Ein entsprechender Gutglaubensschutz erscheint in etlichen denkbaren Fallgruppen geboten: Das UStG sieht unionsrechtswidrig eine Steuerpflicht oder einen höheren Steuersatz vor, als es zutreffend wäre, und der Unternehmer handelt entsprechend; die Finanzverwaltung sieht im UStAE oder im Einzelfall eine Steuerpflicht oder einen höheren Steuersatz vor, als es zutreffend wäre; etc. Beispielhaft sei auf die vermeintlichen „Aufteilungsgebote“ verwiesen, wobei der EuGH zwischenzeitlich geklärt hat, dass jedenfalls auch eine Betriebsvorrichtung umsatzsteuerfrei vermietet werden kann. Sowohl bei fehlender Steuergefährdung als auch bei Gutgläubigkeit bedarf es keiner Korrekturhandlung des Rechnungsausstellers (Rechnungskorrektur oder Rückzahlung). Unternehmern, die Umsatzsteuer abgeführt haben, steht eine Erstattung (ggf. zzgl. Zinsen) für das Jahr der Rechnungstellung zu. Ein Einspruch oder Änderungsantrag bzgl. der betroffenen Steuerbescheide sollte erwogen werden. Unter dem Az. V R 16/23 ist ein Revisionsverfahren beim BFH anhängig.
 
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Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 10.01.2024