Umsatzsteuer Newsletter 15/2022
EuGH nennt weitere Kriterien zur Prüfung der Steuerbefreiung von Privatkliniken
Der BFH hatte im Jahr 2014 entschieden, dass Privatkliniken Krankenhausbehandlungen umsatzsteuerfrei erbringen können, indem sie sich auf das Unionsrecht berufen. Seitdem kommt es in vielen Einzelfällen zum Streit zwischen Privatklinik und Finanzverwaltung. Oft geht es darum, ob die Privatklinik die unionsrechtliche Voraussetzung der „sozial vergleichbaren Bedingungen“ erfüllt. Der EuGH hat nun mit Urteil vom 07.04.2022 (Rs. C-228/20) Kriterien genannt, anhand derer die Prüfung vorzunehmen ist.
1 Hintergrund
Privatkliniken haben keine Kassenzulassung zur Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten. Sie können daher ihre Krankenhausleistungen nicht gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Vor dem 01.01.2020 hatten solche Privatkliniken nach dem nationalen Umsatzsteuergesetz keine Möglichkeit, Krankenhausbehandlungen umsatzsteuerfrei zu erbringen. Im Jahr 2014 hat der BFH dann erstmals entschieden, dass sich Privatkliniken unmittelbar auf eine Steuerbefreiungsnorm für Krankenhausbehandlungen im Unionsrecht berufen dürfen (vgl. KMLZ Newsletter 09 | 2015). Dadurch sind Leistungen einer Privatklinik bis 31.12.2019 umsatzsteuerfrei, wenn die Privatklinik die Voraussetzungen der unionsrechtlichen Steuerbefreiungsnorm erfüllt und sich auf das Unionsrecht beruft. Ein BMF-Schreiben vom 06.10.2016 bestätigte die Möglichkeit der Privatkliniken, sich auf die Steuerbefreiung nach Unionsrecht zu berufen.
 
Zum 01.01.2020 änderte der Gesetzgeber daraufhin § 4 Nr. 14 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG (vgl. KMLZ Newsletter 47 | 2019). Nach der Neuregelung können auch Privatkliniken nach dem deutschen Recht Krankenhausbehandlungen umsatzsteuerfrei erbringen. Dafür müssen sie ihre Leistungen unter sozial vergleichbaren Bedingungen wie Krankenhäuser mit Kassenzulassung erbringen. Dies ist anhand eines Preisvergleichs mit dem KHEntgG und der BPflV zu prüfen.
 
2 Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts und Entscheidung des EuGH
Das Niedersächsische Finanzgericht muss über die Steuerfreiheit von Krankenhausbehandlungen einer Privatklinik entscheiden. Dabei geht es um Streitjahre, die vor dem Jahr 2020 liegen. In seinem Vorlagebeschluss an den EuGH in diesem Verfahren stellte das Finanzgericht dementsprechend auch fest, dass die Leistungen nach dem nationalen Recht nicht steuerfrei sind. Eine Steuerbefreiung kommt nur unter Anwendung des Unionsrechts in Betracht.
Das Finanzgericht wollte mit seiner ersten Vorlagefrage sinngemäß wissen, ob der BFH im Jahr 2014 Recht hatte, als er das Unionsrecht in Deutschland bezüglich der Steuerbefreiung für Privatkliniken für unmittelbar anwendbar erklärte. Der EuGH kommt insbesondere unter Heranziehung der steuerlichen Neutralität zu dem Ergebnis, dass das deutsche Recht tatsächlich unionsrechtswidrig war, indem es Privatkliniken keine Möglichkeit einräumt, steuerfreie Leistungen zu erbringen.
 
Soweit sich eine Privatklinik auf die Steuerbefreiung nach Unionsrecht beruft, ist in der Praxis immer wieder strittig, ob die Privatklinik unter Bedingungen tätig ist, die mit denjenigen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts sozial vergleichbar sind. Hierzu hat das Finanzgericht nach Beurteilungskriterien gefragt. Bereits in früheren Entscheidungen hatte der EuGH den Gemeinwohlcharakter der Leistung und die Kostenübernahme durch ein System der sozialen Sicherheit genannt (vgl. KMLZ Newsletter 07 | 2020). Der EuGH fügt in seiner aktuellen Entscheidung vom 07.04.2022 (C-228/20) aber noch folgende weitere Kriterien hinzu: 
 
  • Berücksichtigung von Bedingungen, die für öffentlich-rechtliche Krankenhäuser gelten und das Ziel haben, die Kosten der Heilbehandlung zu senken und dem Einzelnen eine qualitativ hochwertige Behandlung zugänglicher zu machen. 
 
  • Die Vergleichbarkeit der Berechnung der Tagessätze in der Privatklinik und in öffentlich-rechtlichen Kliniken. 
 
  • Die Kostenübernahme durch das System der sozialen Sicherheit oder aufgrund von Vereinbarungen mit anderen Behörden, sodass die Kosten der Patienten in der Privatklinik und in öffentlichen Einrichtungen ähnlich hoch sind. 
 
  • Die Leistungsfähigkeit in Sachen Personal, Räumlichkeiten und Ausstattung sowie Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung, wenn öffentlich-rechtliche Krankenhäuser vergleichbaren Betriebsführungsindikatoren unterliegen und diese der Kostensenkung und einer qualitativ hochwertigen Heilbehandlung dienen.
 
3 Praxisfolgen
Mit seiner Antwort auf die erste Fragestellung bestätigt der EuGH die bisherige praktische Handhabung durch den BFH und die Finanzverwaltung. Privatkliniken können sich für bis Ende 2019 erbrachte Leistungen auf das Unionsrecht berufen. Wenn sie die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, erbringen sie steuerfreie Leistungen. Insoweit ergeben sich aus dem aktuellen EuGH-Urteil keine praktisch relevanten Änderungen.
 
Interessant sind die in der Antwort auf die zweite Frage erwähnten Kriterien zur Prüfung der sozialen Vergleichbarkeit der Bedingungen von Krankenhausbehandlungen. Der EuGH scheint eine Gesamtbetrachtung anhand verschiedener Kriterien vornehmen zu wollen. Der BFH hat demgegenüber zuletzt ausschließlich auf das letztgenannte, aus dem SGB V abgeleitete Kriterium der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung abgestellt. Auch das BMF-Schreiben aus dem Jahr 2016 stützt sich allein auf ein Kriterium, nämlich die Vergleichbarkeit der Höhe des Preises für die Krankenhausbehandlung. Problem in der Praxis ist hierbei, dass sich oftmals durch Privatklinik und Finanzamt nicht der eine Preis für eine bestimmte Krankenhausbehandlung in einem öffentlich-rechtlichen Krankenhaus bestimmen lässt. Es kommt dann oftmals zu einer Heranziehung verschiedener Kriterien, wobei in der Zukunft auch die vom EuGH genannten Kriterien einfließen können. Ähnlich dürfte dies in Gerichtsverfahren zu Altfällen sein. Auch Gerichte werden überlegen müssen, ob sie neben den vom BFH genannten Kriterien weitergehende Kriterien berücksichtigen. Spannend wird dabei sein, wie die einzelnen vom EuGH genannten Kriterien zu konkretisieren sind. Klarheit im Einzelfall schafft die EuGH-Entscheidung wohl nicht.
 

Ansprechpartner:

Dr. Michael Rust
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501274
michael.rust@kmlz.de

Stand: 11.04.2022