Umsatzsteuer Newsletter 09/2023
BFH äußert unionsrechtliche Zweifel an 40 %-Quote für die Steuerfreiheit von Privatkliniken
In einem aktuell veröffentlichten Urteil beschäftigt der BFH sich mit der Umsatzsteuerbefreiung für Privatkliniken im Jahr 2006. Im Zusammenhang mit der Zurückverweisung gibt der BFH dem Finanzgericht einige Hinweise zur Prüfung der Steuerbefreiung. Konkret geht es um die 40 %-Quote. Diese Quote sah auch das BMF für Veranlagungszeiträume ab dem Jahr 2009 als Voraussetzung der Steuerbefreiung an. Der Gesetzgeber übernahm sie sodann in das UStG. Dadurch ist das Urteil auch für jüngere Veranlagungszeiträume von Interesse. Es kann als Argumentationshilfe zum Thema Steuerfreiheit der Umsätze von Privatkliniken herangezogen werden.
1 Hintergrund
Für Krankenhäuser ohne Kassenzulassung zur Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten (Privatkliniken) hat sich die Rechtslage in Bezug auf die Umsatzsteuerbefreiung in den vergangenen 15 Jahren mehrfach geändert. Bis Ende 2008 konnten Privatkliniken steuerfreie Leistungen erbringen, wenn sie die Voraussetzungen eines entsprechenden Zweckbetriebs gem. § 67 AO erfüllt haben. Ab dem Jahr 2009 war Privatkliniken nach dem UStG eine Steuerbefreiung nicht mehr möglich. Allerdings entschied der BFH im Jahr 2014 erstmals, dass sich Privatkliniken unmittelbar auf eine Steuerbefreiungsnorm für Krankenhausbehandlungen im Unionsrecht berufen dürfen (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 09 | 2015). Dadurch waren Leistungen einer Privatklinik mindestens seit 01.01.2009 umsatzsteuerfrei, wenn die Privatklinik die Voraussetzungen der unionsrechtlichen Steuerbefreiungsnorm erfüllt und sich auf das Unionsrecht beruft. Ein BMF-Schreiben vom 06.10.2016 bestätigte die Möglichkeit der Privatkliniken, sich auf die Steuerbefreiung nach Unionsrecht zu berufen, und erläuterte die Auslegung der Tatbestandsmerkmale aus Sicht des BMF. Im Anschluss änderte der Gesetzgeber noch einmal das UStG (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 47 | 2019). Seit dem 01.01.2020 nennt § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG die Voraussetzungen, unter denen Privatkliniken steuerfreie Krankenhausbehandlungen erbringen.
 
2 Urteil des BFH vom 17.11.2022 – V R 23/20
Der BFH hatte einen „Altfall“ mit Streitjahr 2006 zu entscheiden. Um die Voraussetzungen der Steuerbefreiung zu erfüllen, musste die klagende Privatklinik, nach der früheren das Streitjahr betreffenden Rechtsprechung, eine Vorauskalkulation der Selbstkosten vornehmen. Eine derartige Kalkulation hatte die Klinik aber nicht durchgeführt. Das Finanzgericht wies daher die Klage der Privatklinik auf Behandlung ihrer Krankenhausleistungen als umsatzsteuerfrei ab.
 
Nach Auffassung des BFH benötigten Privatkliniken diese Vorauskalkulation auch in Zeiträumen vor dem Jahr 2009 nicht in jedem Fall. Erbrachten sie Leistungen, welche Krankenhäuser mit Kassenzulassung nach dem (damals neuen) DRG-Vergütungssystem abrechneten, war die Vorauskalkulation nicht notwendig. Sie war nur noch dann notwendig, wenn die Privatklinik Leistungen im Bereich der Psychiatrie erbrachte. Entsprechend hatte dies bereits im Jahr 2019 der XI. Senat, also der andere für die Umsatzsteuer zuständige Senat des BFH, gesehen. Für Altfälle – welche auch heute durchaus noch anhängig sind – ist diese Klarstellung, dass beide Senate des BFH insoweit auf einer Linie liegen, wichtig. 
 
3 Praxisfolgen
Die Entscheidung des BFH ist auch für die Steuerbefreiung von Privatkliniken in Veranlagungszeiträumen ab 2009 und ab 2020 beachtenswert. Eine (weitere) Voraussetzung der Steuerbefreiung im Streitjahr war (vereinfacht), dass 40 % der Belegungstage auf Patienten entfallen, für die die Privatklinik keine höheren Entgelte als ein Krankenhaus mit Kassenzulassung abrechnet (40 %-Quote). Bei der Prüfung dieser 40 %-Quote kann – so der BFH im aktuellen Urteil – von Bedeutung sein, ob vergleichbare Bedingungen im Hinblick auf die Finanzierung der Investitionskosten vorliegen. 
 
Diese 40 %-Quote gilt in ähnlicher Form bis heute fort. Daran soll sich zeigen, ob die Bedingungen unter denen eine Privatklinik ihre Leistungen erbringt, sozial vergleichbar mit den Bedingungen von Kliniken mit Kassenzulassung sind. Oftmals legen Privatkliniken ihren Abrechnungen aber einen höheren Basisfallwert zugrunde und verlangen daher höhere Preise als Krankenhäuser mit Kassenzulassung. Finanzämter argumentieren regelmäßig, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung deshalb nicht vorliegen, da die 40 %-Quote nicht eingehalten ist. Ein Krankenhaus mit Kassenzulassung, das nach dem Krankenhausentgeltgesetz abrechnet, erhält neben den Krankenhausentgelten Investitionskosten gesondert gezahlt. Privatkliniken müssen Investitionskosten demgegenüber aus den Erlösen für Krankenhausbehandlungen decken. Dass daraus folgende unterschiedliche Entgelthöhen nicht zur Ablehnung der Steuerbefreiung führen, haben der BFH und zumindest das Finanzgericht Köln schon in früheren Urteilen verdeutlicht. Indem der BFH die Problematik erneut anspricht, unterstützt er Privatkliniken weiter bei ihrer Argumentation gegen konträre Auffassungen der Finanzverwaltung. 
 
Weiterhin greift der BFH ganz generelle Zweifel auf, wie sie in der Literatur auf Grundlage eines EuGH-Urteils aus dem Jahr 2020 (IDEALMED III) an der 40 %-Quote geäußert werden. Zwar bezieht sich die Aussage des BFH auf das Streitjahr. Jedoch sind diese Zweifel durch die entsprechende Regelung im BMF-Schreiben des Jahres 2016 und seit 2020 im Gesetz für die Besteuerung bis heute relevant. Sollte die 40 %-Quote als gesetzliche Vorgabe unionsrechtswidrig sein, könnten sich Privatkliniken auch aktuell noch unmittelbar auf die Voraussetzungen des Unionsrechts berufen. Dabei könnten die Regelungen aus dem BMF-Schreiben des Jahres 2016 wohl nicht zur Auslegung herangezogen werden, da dann auch die dort vorgesehene Regelung (40%-Quote) unionsrechtswidrig wäre. Ob eine derartige Quote als Voraussetzung unionsrechtswidrig ist, wird im Ergebnis nur der EuGH auf eine entsprechende Vorlage hin klären können. Es gibt Argumente in beide Richtungen. 
 
Aktuell ist in Betriebsprüfungen und Gerichtsverfahren, in welchen sich Privatkliniken auf das Unionsrecht berufen, immer wieder strittig, anhand welcher konkreten Kriterien die Steuerbefreiung zu bestimmen ist. Verweigert das Finanzamt mit Blick auf die 40 %-Quote oder aber generell wegen höherer Preise, als sie ein Krankenhaus mit Kassenzulassung erhebt, die Steuerbefreiung einer Privatklinik, liefert das vorliegende Urteil auch für Zeiträume außerhalb des Streitjahres Argumente, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Aber auch in Gerichtsverfahren besteht die Problematik, dass die genauen Kriterien, anhand derer sich die Steuerbefreiung bestimmt, unklar sind (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 15 | 2022). Regelmäßig sind insoweit viele Details des Einzelfalls vorzutragen und streitentscheidend.
 

Ansprechpartner:

Dr. Michael Rust
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501274
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Stand: 10.02.2023