Umsatzsteuer Newsletter 32/2025
BMF-Schreiben zu Online-Bildung und weiteren Veranstaltungen: Eine „halbe Rolle rückwärts“
Das BMF hat am 08.08.2025 das lang ersehnte Update zum Anwendungsschreiben zu Online-Bildung und weiteren Veranstaltungen vom 29.04.2024 veröffentlicht. Der größte Kritikpunkt, wonach Aufzeichnungen zur Steuerpflicht der gesamten Leistung führen, wurde modifiziert. Dies ist zu begrüßen. Die „Rolle rückwärts“ gelingt aber nur halb. Alle Anbieter müssen ihre Kurse kurzfristig neu bewerten. Manche müssen ihre Handhabung gar dringend umstellen. Anbieter von Online-Veranstaltungen sehen sich aktuell einem Flickenteppich aus mehreren BMF-Schreiben, einer Neufassung von § 4 Nr. 21 UStG und dem Fernunterrichtsschutzgesetz preisgegeben.
1 Hintergrund
Seit dem 01.07.2024 müssen Anbieter von digitalen Bildungsleistungen das viel kritisierte BMF-Schreiben vom 29.04.2024 berücksichtigen, wonach vorproduzierte Inhalte wie Video-Kurse, Apps, Lernplattformen etc. ohne bzw. mit nur minimalen menschlichen Elementen von der Steuerbefreiung ausgeschlossen sind. Gleiches gilt, wenn Live-Inhalte aufgezeichnet und zeitversetzt angeschaut werden können (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 24 | 2024 und 49 | 2024). Auf die Kritik hat das BMF nun, nach mehr als einem Jahr, mit der Veröffentlichung des neuen BMF-Schreibens vom 08.08.2025 reagiert.
 
2 BMF-Schreiben vom 08.08.2025
Das BMF-Schreiben vom 29.04.2024 wird aufgehoben und durch den Inhalt des neuen BMF-Schreibens ersetzt (Tz. 2, 15). Abseitig redaktioneller Änderungen sind die Regelungen zu vorproduzierten Inhalten (als elektronische Dienstleistung nicht steuerbefreit, Tz. 3–5), Live-Streaming und hybriden Angeboten (als sonstige Leistung steuerbefreit, Tz. 6–8) sowie Dienstleistungskommissionen (Tz. 9–11) gleich geblieben. Die Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 14 (Gesundheit), Nr. 20 Buchst. a und b (Kunst und Kultur), Nr. 21 (Bildungsleistungen) sowie der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG (Eintrittsberechtigung) gelten nur bei Live- und Hybrid-Veranstaltungen. Aufgezeichnete bzw. vorproduzierte Inhalte werden von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Insoweit bleibt also alles wie vorher.
 
Besonders spannend hingegen ist der ersatzlose Wegfall der materiell-rechtlich umstrittensten Ausführungen unter Tz. 12 Buchstaben a („Einheitliche Leistung eigener Art“) und b („Selbstständige Leistungen“) des alten BMF-Schreibens. Hiernach sollte eine einheitliche Leistung eigener Art (sui generis) vorliegen, wenn neben dem Live-Unterricht (mit und ohne Interaktionsmöglichkeit) zusätzlich eine Aufzeichnung angeboten wurde. Die Gesamtleistung wäre dann im Ganzen steuerpflichtig und unterläge dem Regelsteuersatz (a). Würde hingegen für die Aufzeichnung ein gesondertes Entgelt vereinbart bzw. ein Aufschlag gezahlt, lägen selbständige Hauptleistungen vor, die getrennt zu beurteilen seien (b). Diese Ausführungen waren inhaltlich verfehlt. Das hat das BMF nun offensichtlich auch erkannt und die Passagen getilgt. Nach der neuen Tz. 12 ist nach den allgemeinen Regelungen zur Einheitlichkeit der Leistung zu beurteilen, ob der Unternehmer eine einheitliche Leistung oder mehrere selbständige Leistungen erbringt. Dies ist nicht mehr einzig nach der Entgeltvereinbarung zu ermitteln, sondern nach dem Wesen des Umsatzes aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers.
 
Das Schreiben gilt in allen offenen Fällen. Bis Ende 2025 können sich Anbieter aber noch auf das alte BMF-Schreiben vom 29.04.2024 berufen. Die Rechtsfolgen gelten dann gleichermaßen auch für den Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen. 
 
3 Auswirkungen auf die Praxis
Positiv ist, dass die Leistungskombination aus Live-Unterricht und Aufzeichnung nun wieder nach § 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG vollständig steuerfrei sein kann. Von einer immer in Gänze steuerpflichtigen Leistung eigener Art ist nicht mehr alternativlos auszugehen. Die Bewertung erfolgt zukünftig individuell. Dieser Ansatz zur „Rolle rückwärts“ ist überfällig – sie gelingt dem BMF, um im Bild zu bleiben, aber nur mit Abzügen in der B-Note. Mehr Flexibilität bei der Einheitlichkeit der Leistung und dem Wesen des Umsatzes beflügelt auch die Kreativität des Finanzamts. Dies zeigt bereits die Prüfungspraxis seit Ergehen des BMF-Schreibens vom 29.04.2024. Sämtliche Anbieter von Online-Veranstaltungen müssen nun prüfen, ob ihre Leistungen als einheitliche Leistung gelten und ganz oder teilweise der Steuerbefreiung unterliegen.
 
Negativ wirkt die neue Sichtweise zur Leistungskombination für pflichtschuldige Bildungsanbieter, die eine Aufteilung des Entgelts vorgenommen haben. Sie wähnten Rechtssicherheit und beriefen sich auf Tz. 12 Buchst. b. Wiederum andere Bildungsanbieter begrüßten mit Blick auf ein Vorsteuerabzugsrecht gar die volle Steuerpflichtigkeit nach Tz. 12 Buchst. a. Schaut man aber auf die nun doch nicht abziehbare Vorsteuer, §-15a-Korrekturen, Schadensersatzverpflichtungen ggü. Vermietern u.a., könnten diese Anbieter nun die großen Verlierer des neuen BMF-Schreibens sein. Für sie besteht in jedem Fall wieder großer Handlungsbedarf. Sie müssen ihre Kurse insgesamt neu würdigen und vielfach wohl umstellen.
 
Zur Frage, wieso Apps und Lernplattformen, sofern sie elektronische Dienstleistungen darstellen, nicht von einer Steuerbefreiung profitieren können, schweigt auch das aktualisierte BMF-Schreiben. Hier gilt es im Einzelfall zu prüfen, ob eine Steuerbefreiung, etwa für Bildungs- oder Heilbehandlungsleistungen, Anwendung finden kann.
 
Die heikle Thematik einer Zulassung nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz wird im neuen BMF-Schreiben ebenfalls nicht angesprochen. Alle Online-Anbieter müssen hier jedoch aufpassen: Wer eine Leistungskombination mit Rückfragemöglichkeit anbietet, ist sehr schnell zulassungspflichtig. Die Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) ist dann auch die für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 4 Nr. 21 UStG zuständige Landesbehörde. Wer in so einem Fall nicht über eine ZFU-Zulassung verfügt, riskiert gravierende zivilrechtliche und umsatzsteuerliche Folgen. Der Anwendungsbereich des Fernunterrichtsschutzgesetzes wurde vor Kurzem deutlich ausgeweitet (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 23 | 2025).
 
Spätestens ab dem 01.01.2026 sollen die neuen Regelungen auf alle Umsätze angewandt werden. Die Übergangsregelungen allerdings sind unzureichend. Für sonstige Leistungen, die bereits begonnen haben und erst im nächsten Jahr mit Beendigung umsatzsteuerlich als ausgeführt gelten (z.B. langfristige Ausbildungskurse), führt die Übergangsregelung zu einer Rückwirkung. Dies betrifft vor allem Kurse mit aufgeteiltem Entgelt nach der Tz. 12 Buchst. b.
 
Ansprechpartner:
 
 
Steuerberater, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 387
 
Stand: 13.08.2025