1 Hintergrund
Über den Zusammenhang und die Verbindung von Mehrwertsteuer und Zoll hatte der EuGH bereits mehrfach zu entscheiden (s. KMLZ Zoll Newsletter 04│2019, 01│2021). In der Regel ging es dabei um die Frage, ob gleichzeitig mit einer Zollschuld auch Einfuhrumsatzsteuer entsteht. In seiner neuen Entscheidung (Urt. v. 07.04.2022, Rs. C-489/20 – UB) hatte der EuGH nun zu klären, ob im Fall des Erlöschens von Zollschulden auch gleichzeitig mit der Zollschuld entstandene Einfuhrumsatzsteuer und Verbrauchsteuern erlöschen.
2 Sachverhalt
Der Kläger hatte Zigaretten vorschriftswidrig aus Belarus nach Litauen verbracht. Dazu hatten er und weitere Tatbeteiligte die Zigaretten über den Grenzzaun geworfen und dann auf dem Gebiet Litauens mit einem PKW eingesammelt. Kurz darauf kontrollierten Grenzbeamte den PKW und beschlagnahmten die Zigaretten. Im Rahmen des eingeleiteten Strafverfahrens wurden die Einziehung und Vernichtung der Zigaretten angeordnet. Daneben setzte die Zollverwaltung Verbrauchsteuern und Einfuhrumsatzsteuer fest. Eine Einfuhrzollschuld setzte die Zollverwaltung dagegen nicht fest. Sie begründete dies damit, dass die Zollschuld nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. e UZK erloschen sei.
3 Entstehung von Abgaben
Durch das Verbringen der Zigaretten in das Staatsgebiet Litauens und somit in das Zoll- und Mehrwertsteuergebiet der EU sind sowohl Einfuhrzölle als auch Mehrwertsteuer und Tabaksteuer entstanden (Art. 79 Abs. 1 Buchst. a) UZK; Art. 2 Abs. 1 Buchst. d), Art. 70 MwStSystRL; Art. 7 Abs. 1, 2 Buchst. d) der Richtlinie über das allgemeine Verbrauchsteuersystem (2008/118/EG)).
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist es für die Entstehung von Einfuhrzöllen und Einfuhrumsatzsteuer gleichermaßen erforderlich, dass Waren in die EU eingeführt und anschließend in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten verbracht werden. Dieser Gleichlauf kommt nach Auffassung des EuGH auch darin zum Ausdruck, dass Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL die Mitgliedstaaten ermächtigt, den Steuertatbestand und die Entstehung des Steueranspruchs der Einfuhrumsatzsteuer mit dem Tatbestand und der Entstehung des Anspruchs bei Zöllen zu verknüpfen (EuGH, Urt. v. 10.07.2019 – FedEx – C-26/18). Im aktuellen Urteil geht der EuGH ohne weitere Begründung davon aus, dass die eingeschmuggelten Zigaretten einem Verbrauch zugeführt werden konnten. Sie sind daher auch im mehrwertsteuerlichen Sinn in den Wirtschaftskreislauf gelangt. Die Einfuhrumsatzsteuer war entstanden.
4 Erlöschen der Zollschuld
Zollschulden erlöschen, wenn die einfuhrabgabenpflichtigen Waren eingezogen werden. Dies gilt auch, wenn sie zunächst beschlagnahmt und nachfolgend eingezogen werden (Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK). In dem zur Entscheidung vorgelegten Fall war diese Voraussetzung gegeben. Die entstandene Zollschuld ist daher erloschen. Der EuGH führt in diesem Zusammenhang aus, dass trotz der Änderung des Wortlauts in der Erlöschensnorm bei Einführung des UZK (vgl. Art. 233 Abs. 1 Buchst. d) ZK a.F.) der Inhalt unverändert ist. Zollschulden erlöschen auch, wenn die Waren zuvor vorschriftswidrig in die EU verbracht wurden.
5 Erlöschen der Einfuhrumsatzsteuer und Verbrauchsteuer
Im Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuerrecht existieren keine Erlöschensnormen, die mit Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK vergleichbar wären. Zu entscheiden war jedoch, ob gegebenenfalls auch Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuer erlöschen, wenn die Zollschuld erlischt. Einen Grund für diese Anknüpfung an den zollrechtlichen Erlöschenstatbestand könnte man grundsätzlich darin sehen, dass sowohl das Mehrwertsteuer- als auch das Verbrauchsteuerrecht die Abgabenentstehung an die „Einfuhr“ der Ware knüpfen. Die Einfuhr ist grundsätzlich zollrechtlich definiert. Insofern ist ein Gleichlauf mit dem Zollrecht nicht abwegig. Dies zeigt sich auch in Art. 71 MwStSystRL, der Steuertatbestand und Steueranspruch der Mehrwertsteuer an die Entstehung der Zollschuld knüpft.
Trotz dieser Verweise auf das Zollrecht verneint der EuGH ein Erlöschen von Mehrwertsteuer und Tabaksteuer. Verbrauchsteueransprüche bleiben bestehen, auch wenn Waren nach ihrer Einfuhr beschlagnahmt und eingezogen werden. Der EuGH begründet dies auch damit, dass nach einer erfolgten (unrechtmäßigen) Einfuhr auch die spätere Unterstellung unter ein Nichterhebungsverfahren die einmal entstandenen Verbrauchsteuern nicht erlöschen lässt.
Hinsichtlich der Mehrwertsteuer führt der EuGH schlicht aus, dass der Entstehungstatbestand für die Mehrwertsteuer bereits erfüllt ist. Es besteht somit eine Mehrwertsteuerschuld. Da auch keine Regelung existiert, die ein Erlöschen im Falle des Erlöschens der Zollschulden nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. e) UZK vorsieht, besteht die Mehrwertsteuerschuld fort.
6 Bewertung
Der EuGH lehnt die Anwendung der Erlöschenstatbestände aus dem Zollrecht auf das Verbrauchsteuerrecht und Mehrwertsteuerrecht im Rahmen der Rechtsfortentwicklung mangels gesetzlicher Grundlage ab. Das ist nachvollziehbar. Dennoch würde ein Erlöschenstatbestand vergleichbar mit den Tatbeständen des UZK in der Praxis in vielen Fällen helfen, ein interessengerechtes Ergebnis zu finden. Das Verfahren sollte dem Richtliniengeber Anstoß sein, entsprechende rechtliche Grundlagen zu schaffen.
Ansprechpartner:
Dr. Christian Salder
Rechtsanwalt, Steuerberater,
Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: +49 89 217501285
christian.salder@kmlz.de
Stand: 24.05.2022