Umsatzsteuer Newsletter 55/2022
BFH: Umfang der menschlichen Beteiligung bei elektronisch erbrachten Dienstleistungen
Der BFH äußert sich zu der Frage, wie umfangreich eine menschliche Beteiligung sein muss, um einer elektronisch erbrachten Dienstleistung entgegenzustehen. Im konkreten Fall einer Zweitlotterie verneinte der BFH eine elektronisch erbrachte Dienstleistung, da er die menschliche Beteiligung im Rahmen der Gewinnermittlung und -auszahlung als nicht nur unerheblich ansah. Das BFH-Urteil hat neben der Zweitlotterie auch für andere Online-Angebote große Praxisrelevanz.
1 Sachverhalt
Die Klägerin mit Sitz im Ausland veranstaltete eine sog. Zweitlotterie. Sie bot Wetten auf die Ziehungen verschiedener terrestrischer Lotterien (sog. Erstlotterien) an. Die Spieler erhielten eine Gewinnchance in gleicher Höhe wie bei einer Erstlotterie. Sie hatten gewonnen, wenn sie auf die Zahlen gewettet hatten, die die Ziehung der entsprechenden Erstlotterie ergeben hatte. Die Spieler konnten die Tipps über die Internetseite der Klägerin oder telefonisch über den Kundendienst platzieren. Der Vertrag zwischen der Klägerin und den Spielern kam erst zu Stande, nachdem die Spielquittung dem Spieler per E-Mail zugegangen war. Der elektronischen Bereitstellung der Spielquittung ging die Absicherung der Gewinnzusage durch Versicherungen oder Erwerb entsprechender Tippscheine der jeweiligen Erstlotterie durch die Klägerin voran (sog. Hedging). Die Klägerin erfasste das Ergebnis der Erstlotterie manuell. Mehrere Computersysteme ermittelten im Anschluss unabhängig voneinander die Gewinner der Zweitlotterie. Die Klägerin überprüfte diese Ergebnisse ebenfalls manuell. Im Anschluss identifizierte die Klägerin manuell sämtliche Gewinner, die einen Gewinnbetrag über 100.000 € (sog. Big-Win) erhielten. Diese Big-Winners kontaktierte die Klägerin über ihren Kundendienst und einen deutschen Rechtsanwalt.
 
Streitig war, ob die Zweitlotterie eine elektronisch erbrachte Dienstleistung im Sinne des § 3a Abs. 5 S. 1 Nr. 1 i.V.m. S. 2 Nr. 3 UStG darstellt. Im Kern ging es um die Frage, ob die menschliche Beteiligung im vorliegenden Fall nicht nur unerheblich ist und den eigentlichen Leistungsvorgang betrifft. Das Niedersächsische Finanzgericht verneinte eine elektronisch erbrachte Dienstleistung mit der Begründung, dass die Klägerin eine durch menschliche Arbeitskraft geprägte sonstige Leistung erbringt. Dies hat zur Folge, dass die Zweitlotterie gemäß § 3a Abs. 1 S. 1 UStG am Unterenehmenssitz der Klägerin im Ausland steuerbar ist. 
 
2 Entscheidung des BFH
Mit Urteil vom 03.08.2022 weist der BFH die Revision des Finanzamtes als unbegründet zurück (Az. XI R 36/19). Nach Auffassung des BFH hat das Finanzgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass keine elektronisch erbrachte Dienstleistung vorliegt. Nach der Definition in Art. 7 Abs. 1 MwStVO erfasst eine elektronisch erbrachte Dienstleistung eine über das Internet oder ein ähnliches elektronisches Netz erbrachte Dienstleistung, deren Erbringung aufgrund ihrer Art im Wesentlichen automatisiert und nur mit minimaler menschlicher Beteiligung erfolgt und ohne Informationstechnologie nicht möglich wäre. Entscheidend ist, dass die menschliche Beteiligung den eigentlichen Leistungsvorgang betrifft. 
 
Der BFH stellt für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung vor allem darauf ab, wofür der Spieler das Entgelt für die Teilnahme bezahlt. Nach Auffassung des BFH kommt es den Spielern im vorliegenden Fall maßgeblich auf die Gewinnermittlung und -auszahlung an. Denn wenn der Spieler nicht physisch an der Ziehung der Lottozahlen teilnimmt, kommt es ihm nicht nur auf den Vorgang des Spielens, sondern auf die Gewinnmöglichkeit an. Der Spieler leistet seinen Spieleinsatz insbesondere dafür, dass sein Gewinn zuverlässig ermittelt und an ihn ausgezahlt wird. Daher betrifft die manuelle Feststellung der Ergebnisse der Erstlotterie sowie der Gewinner im vorliegenden Fall den eigentlichen Leistungsvorgang und geht über eine minimale menschliche Beteiligung hinaus.
 
Die Gewinnermittlung und -auszahlung erbrachte die Klägerin ausschließlich persönlich und nicht auf elektronischem Weg. Zudem betraf diese Tätigkeit alle Spieler, nicht nur die Gewinner. Daher ließ der BFH die Frage offen, ob die menschliche Beteiligung an der Auszahlung der Gewinne in Fällen des „Big-Win“ auch dazu führen könnte, dass die Klägerin ihre Leistung an alle Spieler nicht mit nur minimaler menschlicher Beteiligung erbracht hat.
 
3 Auswirkungen für die Praxis
Bereits in der Vergangenheit hatte sich der BFH im Fall einer automatisierten Partnervermittlung mit der menschlichen Beteiligung im Rahmen einer elektronisch erbrachten Dienstleistung auseinandergesetzt. Da die menschliche Beteiligung jedoch nicht den eigentlichen Leistungsvorgang betraf, musste sich der BFH nicht dazu äußern, wie umfangreich eine menschliche Beteiligung sein muss, um einer elektronisch erbrachten Dienstleistung entgegenzustehen. Anders war es im vorliegenden Fall. Denn hier musste der BFH entscheiden, ob die manuelle Feststellung der Ergebnisse der Erstlotterie sowie der Gewinner eine mehr als nur minimale menschliche Beteiligung darstellt. Die Besonderheit war, dass es sich dabei um Prozesse handelte, die die Klägerin im Hintergrund ausführte, d.h. von denen der Spieler nicht zwangsläufig Kenntnis erlangt. Dennoch betreffen diese Tätigkeiten den eigentlichen Leistungsvorgang. Denn es kommt dem Spieler entscheidend darauf an, dass sein Gewinn zuverlässig ermittelt und an ihn ausgezahlt wird. Diese Begründung des BFH überzeugt. Denn bei der Zweitlotterie zahlt der Spieler nicht für ein Spielerlebnis, sondern in erster Linie für die Gewinnchance.
 
Das BFH-Urteil ist richtungsweisend und nicht nur für Fälle der Zweitlotterie relevant. Aus diesem Grund wurde das Urteil von der Branche mit großem Interesse erwartet. Praktische Bedeutung ergibt sich daraus insbesondere für Online-Angebote, bei denen im Hintergrund ähnliche Prozesse mit menschlicher Beteiligung ablaufen, die für den Kunden entscheidend sind. Darunter können beispielsweise Online-Angebote fallen, bei denen der Leistende einen manuellen Rückgriff auf andere Datenbanken vornimmt. Betroffene Unternehmen sollten daher überprüfen, ob im konkreten Fall eine elektronisch erbrachte Dienstleistung vorliegt oder manuelle Prozesse im Hintergrund dieser Annahme entgegenstehen. Diese Frage kann sich, wie im vorliegenden Fall, auf den Ort der Leistung auswirken. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Dr. Matthias Oldiges
Rechtsanwalt
Tel.: +49 211 54 095 366
 
Stand: 15.12.2022