Umsatzsteuer Newsletter 53/2022
VAT in the Digital Age (Teil 2): „Single VAT Registration“ zur Vermeidung ausländischer Registrierungen
Die Europäische Kommission hat am 08.12.2022 einen Richtlinienentwurf für die Initiative „VAT in the Digital Age“ veröffentlicht. Eine von drei Säulen im neuen Änderungspaket stellt die „Single VAT Registration“ dar. Dadurch sollen die Registrierungspflichten im EU-Ausland für die meisten Unternehmer entfallen und diese somit von administrativen Pflichten befreit werden. Der Eintritt des neuen Regelungsrahmens ist für den 01.01.2025 geplant.
1 Das Problem: Die Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke im Ausland
Oft als Last empfunden, gehört sie für Steuerpflichtige mit grenzüberschreitenden Geschäftsmodellen zum Geschäftsalltag dazu – die mehrwertsteuerliche Registrierung im Ausland. Vor allem die Registrierungspflicht für Transaktionen ohne direkte steuerliche Auswirkung oder gar ohne Beteiligung anderer Parteien – wie z. B. das innergemeinschaftliche Verbringen – trifft in der Praxis auf wenig Verständnis. Denn jede zusätzliche Registrierung im Ausland kostet Zeit und Geld. Deshalb hat die EU-Kommission in ihrem Vorschlag zur Änderung der MwStSystRL „VAT in the Digital Age“ („ViDA“) die „Single VAT Registration“ (SVR) vorgestellt. Die SVR soll es ermöglichen, im EU-Ausland meldepflichtige Vorgänge im Sitzstaat zu melden. Die Registrierungspflichten im EU-Ausland sollen dadurch für viele Steuerpflichtige entfallen. Dies soll unter anderem durch die Ausdehnung des One-Stop-Shop (OSS) und des Import-One-Stop-Shop (IOSS) erreicht werden.
 
2 Der Lösungsvorschlag der Kommission
Zur Umsetzung des SVR hat die EU-Kommission insbesondere die folgenden Neuregelungen vorgeschlagen. Diese umfassen sowohl den B2B- als auch den B2C-Bereich:
  • B2B: Bei allen Umsätzen (außer i.R.d. Margenbesteuerung) eines nicht im Leistungsland ansässigen Steuerpflichtigen soll die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger übergehen, wenn dieser dort umsatzsteuerlich registriert ist.
  • B2B: Die erst in 2020 eingeführte Vereinfachungsregelung für Lieferungen über ein Konsignationslager soll zum 31.12.2025 abgeschafft werden. 
  • B2B: Im OSS-Verfahren soll zukünftig auch das innergemeinschaftliche Verbringen gemeldet werden können, außer bei Investitionsgütern. Das Verbringen soll weiterhin meldepflichtig bleiben, nunmehr aber im OSS und nicht im EU-Ausland. Der korrespondierende Erwerb soll steuerfrei sein.
  • B2B/B2C: Die Lieferkettenfiktion bei der Lieferung über eine „elektronische Schnittstelle“ soll auf alle Lieferungen ausgedehnt werden (siehe KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 52 | 2022). Der Onlinehändler soll stets eine ruhende steuerfreie Lieferung an die elektronische Schnittstelle erbringen. 
  • B2B: Lokale Lieferungen, die der Margenbesteuerung unterliegen, sollen im OSS gemeldet werden können. Dafür soll der Steuerschuldübergang bei Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen nicht greifen.
  • B2C: Im OSS sollen zukünftig die Lieferungen (unabhängig davon, ob steuerfrei oder steuerpflichtig) von Waren (mit oder ohne Installation), Waren an Bord von Transportmitteln sowie die Lieferung von Gas, Strom, Wärme oder Kälte im EU-Ausland gemeldet werden können. 
  • B2C: Alle Fernverkäufe aus dem Drittland unter der Lieferkettenfiktion sollen im IOSS zu melden sein.
 
3 Die Folgen für die Praxis
Der Vorschlag der EU-Kommission betrifft viele „wunde Punkte“. Dennoch bleibt abzuwarten, ob alle Mitgliedstaaten mit dem Vorschlag einverstanden sind. Denn dieser muss das EU-Gesetzgebungsverfahren durchlaufen – dazu ist die Zustimmung des Rats der EU sowie die des EU-Parlaments nötig. Dabei hat die Kommission ein sehr zielstrebiges Datum für das Inkrafttreten der Regelungen gesetzt: Der neue Rechtsrahmen soll schrittweise ab dem 01.01.2025 eingeführt werden. Möglicherweise ist das Paket als Ganzes aber doch zu groß und wird letztlich in Teilen verabschiedet, damit die nationalen Finanzverwaltungen die Umsetzung bewältigen können.
 
Von den Maßnahmen wird größtenteils der Onlinehandel profitieren. Das neu für die Meldung von innergemeinschaftlichem Verbringen von Waren geschaffene OSS wäre in der Praxis eine große Erleichterung. Denn bisher waren die Onlinehändler bei Nutzung sog. Fulfillment-Strukturen trotz Meldung der Ausgangsumsätze im OSS weiterhin im EU-Ausland registrierungspflichtig. Dies wird mit der Schaffung des zusätzlichen OSS und der Lieferkettenfiktion (KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 52 | 2022) größtenteils wegfallen. Innergemeinschaftliche Lieferungen aus einem Lagerland ohne elektronische Schnittstelle würden zur Registrierungspflicht führen. Die Ausweitung des IOSS ist ebenfalls zu begrüßen. Leider wurde die Abschaffung des Schwellenwerts von EUR 150 verschoben; sie soll später mit einer Reform des Zollkodex erfolgen. 
 
Aber auch andere Branchen werden von den neuen Regelungen profitieren. Steuerpflichtige mit Konsignationslager im Ausland brauchen nicht mehr die Voraussetzungen der Vereinfachungsregelung zu erfüllen, um eine Registrierungsverpflichtung im Lagerland rechtssicher zu vermeiden. Zukünftig kann die Bestückung des Lagers im OSS gemeldet werden. Der anschließende Ausgangsumsatz soll dem Steuerschuldübergang unterliegen, zumindest wenn der Kunde im Lagerland registriert ist. Auch andere Branchen, bei denen typischerweise Verbringenstatbestände zur Registrierungspflicht im Ausland führen, könnten profitieren. Zu beachten ist jedoch, dass nicht jedes Verbringen von Waren im OSS meldefähig sein soll, weil Investitionsgüter von der Regelung ausgenommen sind. 
 
Auch der erweiterte Steuerschuldübergang bei B2B-Umsätzen im EU-Ausland würde viele Steuerpflichtige entlasten. Allerdings kann es in der Praxis vorkommen, vor allem bei Umsatzgeschäften mit mehreren Beteiligten, dass der Leistungsempfänger im Bestimmungsland nicht registriert ist und die Regelung dann doch nicht greift. 
 
Offen bleibt die Frage der Meldung von innergemeinschaftlichen Erwerben. Sollte der Erwerb, unabhängig davon, ob als Verbringen oder als Zukauf, wie bisher zu besteuern sein, bliebe die Registrierungspflicht im EU-Ausland bestehen, auch wenn der anschließende Umsatz dem Steuerschuldübergang unterliegt. Eine Lösung könnte darin bestehen, dass diese Erwerbe steuerfrei sind. Dann müssten die Mitgliedstaaten aber auf die Deklaration steuerfreier Erwerbe verzichten.
 

Ansprechpartner:
 

Dr. Atanas Mateev
Dipl.-Wirtschaftsjurist (Univ.), Steuerberater
Tel.: +49 89 217501253
atanas.mateev@kmlz.de

Stand: 13.12.2022