Umsatzsteuer Newsletter 45/2022
Kein steuerbarer Umsatz bei symbolischen Entgelten
Der BFH stellt erstmals fest, dass bei einem symbolischen Preis kein Leistungsaustausch zu bejahen ist und damit der Vorsteuerabzug in Gefahr ist. Selbst wenn das Entgelt etwas höher ist, kann die Unternehmereigenschaft wegfallen, wenn eine sog. Asymmetrie zwischen Leistung und Entgelt vorliegt. Im Entscheidungsfall wurde der klagenden Gemeinde zum Verhängnis, dass die Pacht letztlich mit einem zusätzlich gewährten Zuschuss beglichen wurde.
1 Hintergrund
Es handelt sich um einen Sachverhalt, wie es ihn in Gemeinden häufig gibt: Die Kommune unterhält eine dauerdefizitäre Einrichtung, hier in Form eines Schwimmbades. Um den Verlust zu begrenzen, wird ein privater Dritter (z.B. ein Verein) gesucht, der die Einrichtung selbst betreiben soll. Der Verein macht der Kommune aber zur Auflage, dass keine Pacht gezahlt wird. Außerdem brauche man einen Zuschuss, um über die Runden zu kommen. An dieser Stelle erscheinen nun die steuerrechtlichen Bedenkenträger. Sie erheben den Zeigefinger und weisen darauf hin, dass im Falle der Unentgeltlichkeit kein Vorsteuerabzug in Bezug auf zukünftige Sanierungen mehr möglich ist bzw. dass sogar Vorsteuerberichtigungen für bisherige Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten nach § 15a UStG veranlasst werden müssen. Auch könnte der „Zuschuss“ ein Entgelt für eine Betriebsführungsleistung sein. Am Ende einigt man sich auf einen vermeintlich guten Kompromiss: Die Gemeinde verlangt nur ein symbolisches Entgelt und der Verein bekommt den Zuschuss. Alle sind zufrieden. Nur das Finanzamt nicht. So oder ähnlich muss es sich in dem BFH-Verfahren XI R 35/19 abgespielt haben. Der BFH hat nun seinen Beschluss vom 22.06.2022 veröffentlicht. 
 
2 Sachverhalt 
Eine Gemeinde hatte ihr kommunales Schwimmbad an einen Verein für jährlich 1 EUR verpachtet. In dem Betriebspachtvertrag verpflichtete sich die Gemeinde zusätzlich zur Zahlung eines Zuschusses an den Verein in Höhe von jährlich 75.000 EUR. Dieses Geld sollte der Förderung des Vereins im öffentlichen Interesse dienen. Im Jahr 2015 entschied sich die Gemeinde, das Schwimmbad zu sanieren. Sie wollte den Vorsteuerabzug aus den Sanierungsmaßnahmen geltend machen, war sich aber unsicher und sprach deshalb beim Finanzamt vor. Das Ergebnis des Gesprächs war ernüchternd. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Verpachtung wegen der Höhe von Pachtentgelt und Zuschuss im Ergebnis unentgeltlich erfolge, so dass die Klägerin mit der Verpachtung nicht wirtschaftlich tätig sei und deshalb kein Recht zum Vorsteuerabzug habe. Die Gemeinde gab aber nicht auf und gestaltete den Sachverhalt etwas um: Der bisherige Vertrag wurde zum 01.10.2015 durch einen neuen Pachtvertrag mit einem Pachtzins i.H.v. 10.000 EUR zzgl. 1.900 EUR Umsatzsteuer ersetzt. Eine Zuschussvereinbarung enthielt der neue Vertrag nicht mehr. Stattdessen schlossen die Parteien eine gesonderte Zuschussvereinbarung über eine Förderung i.H.v. jährlich 90.000 EUR ab. Jetzt, so meinte die Gemeinde, übte sie durch den Erhalt der 10.000 EUR eine wirtschaftliche Tätigkeit aus und könnte daher den Vorsteuerabzug aus Investitionen in das Schwimmbad geltend machen.
 
3 Entscheidung des BFH
Der BFH entschied zugunsten des Finanzamts: Bei einem jährlichen Pachtentgelt von 1 EUR und erheblichen Aufwendungen für den Pachtgegenstand tritt die Entgeltverpflichtung so sehr in den Hintergrund, dass zwischen Nutzungsüberlassung und Entgelt kein Zusammenhang mehr besteht. Die Gemeinde trete insoweit nicht als „Verpächter" auf. Nach dem BFH sind dabei die Umstände, unter denen der Betreffende die Dienstleistung erbringt, und die Umstände, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird, miteinander zu vergleichen. Im Streitfall kommt der BFH im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis, dass zwischen Kosten und Entgelt eine „Asymmetrie“ bestehe. Ein Leistungsaustausch müsse daher verneint werden. Aus diesem Grund gebe es auch keinen Vorsteuerabzug. Selbst die Trennung des Pachtvertrages vom Zuschussvertrag ändere dadurch nichts. Und auch die Erhöhung des Pachtentgelts führe zu keinem anderen Ergebnis, da die Pachterhöhung letztlich durch eine Zuschusserhöhung ausgeglichen werde. 
 
4 Auswirkungen auf die Praxis
Mit seinem Beschluss entspricht der XI. Senat der Linie des V. Senats (BFH-Urteil vom 15.12.2016, V R 44/15). Der V. Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung bei einer Asymmetrie von Leistung und Entgelt die Unternehmereigenschaft versagt. Dem folgt der XI. Senat, soweit der Verein ab dem 01.10.2015 ein Entgelt von 10.000 EUR bezahlen musste und gleichzeitig einen Zuschuss erhalten hat. Neu ist, dass der XI. Senat bei einem symbolischen Pachtentgelt von 1 EUR (Zeitraum 01.01. bis 30.09.2015) bereits den „Leistungsaustausch“ ablehnt. Das ist unseres Wissens die erste Entscheidung des BFH, die in einem symbolischen Preis kein Entgelt i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erkennt.
 
Beide Senate des BFH versuchen, die schwierige Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Gemeente Borsele (EuGH, Urt. v. 12.05.2016, C-520/14) umzusetzen. Der EuGH prüft den Leistungsaustausch (Leistung gegen Entgelt) inzident im Rahmen der Unternehmereigenschaft (wirtschaftliche Tätigkeit). Danach führt – so der EuGH – ein symbolischer Preis grundsätzlich noch nicht zur Verneinung eines Leistungsaustauschverhältnisses. Sofern aber zusätzliche Gesichtspunkte hinzukommen, die Leistung und Gegenleistung als asymmetrisch erscheinen lassen, müsse die Unternehmereigenschaft verneint werden. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Asymmetrie kann sich dabei aus einem extrem niedrigen Entgelt (EuGH, C-520/14, 3 % Kostendeckungsgrad bei der Schülerbeförderung), aus der Saldierung von Pachtentgelt und Zuschuss (BFH, XI R 35/19) oder einem Missverhältnis von Entgelt zu aufgewendeten Kosten (BFH, V R 44/15, jährliche Pacht i.H.v. 77 TEUR bei Anschaffungskosten von ca.11,2 Mio. EUR) ergeben. 
 
Für die Praxis bedeutet dies: Eine „wirtschaftliche“, zum Vorsteuerabzug berechtigende Tätigkeit ist nicht bereits bei niedrigen Entgelten zu verneinen. Es kommt vielmehr auf die Begleitumstände des Einzelfalls an. Je untypischer, seltsamer oder „komischer“ diese sind, umso mehr Vorsicht ist geboten. Bei großen Vorsteuerüberhängen springt die Ampel auf Gelb. Verbindliche Auskünfte sind deshalb zu empfehlen, wenn man Rechtssicherheit beim Vorsteuerabzug haben möchte. 
 
Ansprechpartner:
 
 
Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht,
Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: +49 89 217501230
 
Stand: 08.11.2022