Umsatzsteuer Newsletter 43/2022
BFH: Rechnung ohne korrekten Steuerausweis kann nicht rückwirkend berichtigt werden
In einer aktuellen Entscheidung erkannte der BFH die rückwirkende Rechnungsberichtigung nicht an, da der Steuerausweis auf den Rechnungen materiell-rechtlich unzutreffend war. Dies wirft in der Praxis Fragen auf, da nach bisheriger Auffassung der Gerichte und der Finanzverwaltung nur eine unbestimmte, unvollständige oder offensichtlich unzutreffende Angabe auf der Rechnung als schädlich angesehen wurde. Vorliegend aber war die Angabe lediglich aufgrund der falschen rechtlichen Würdigung nicht korrekt. Dass der BFH den Fall nicht an den EuGH weitergegeben hat, ist deshalb sehr überraschend.
1 Das Problem: Der Besitz einer Rechnung als formelle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug
EuGH und BFH haben sich bereits mehrfach mit der Bedeutung der Rechnung für den Vorsteuerabzug beschäftigt. Der EuGH hatte dabei die Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung und die Konsequenzen bei fehlerhaften oder fehlenden Angaben zu Gunsten der Steuerpflichtigen gelockert. Dabei urteilte der EuGH, dass für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts der Besitz einer Rechnung erforderlich ist (Urt. v. 21.10.2021 – C-80/20 Wilo Salmson, KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 37│2021). Der EuGH führte aber in der Vergangenheit wiederholt aus, dass ein Dokument nur dann keine berichtigungsfähige Rechnung darstellt, wenn es so mangelhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die erforderlichen Angaben zur Prüfung des Anspruchs auf Vorsteuerabzugs fehlen.
 
Der BFH folgte dem EuGH, setzte aber schon frühzeitig strengere Maßstäbe an. Nach Ansicht des BFH ist eine Rechnung nur dann rückwirkend berichtigungsfähig, wenn sie fünf Kernmerkmale beinhaltet (Rechnungsaussteller, Leistungsempfänger, Leistungsbeschreibung, Entgelt und gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer). Diese Grundsätze wurden von der Finanzverwaltung mit BMF-Schreiben v. 18.09.2020 (KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 49│2020) übernommen. Dabei genügte es bisher, wenn die Kernmerkmale in der fehlerhaften Rechnung unzutreffend enthalten waren. Nun hat der BFH in seinem Urteil vom 07.07.2022 – V R 33/20 die Richtschnur noch straffer gespannt.
 
2 Sachverhalt
Die Kl. war eine nach luxemburgischem Recht gegründete Gesellschaft. Sie bezog sonstige Leistungen von deutschen Unternehmen. Die Leistenden waren von einem Steuerschuldübergang ausgegangen. Deshalb wurden die Rechnungen mit der Angabe von Umsatzsteuer 0 % und EUR 0 Umsatzsteuer oder unter Anführung eines Gesamtbetrags und dem Hinweis auf den Steuerschuldübergang ausgestellt. Die Kl. hat die Leistungen in Luxemburg dem Steuerschuldübergang unterworfen und besteuert. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass die Kl. in Deutschland ansässig ist, so dass der Leistende zum Steuerschuldner der im Inland entstandenen Steuer wurde. Daraufhin wurden die Rechnungen berichtigt und die Leistenden rechneten mit 19 % Umsatzsteuer ab. Die Kl. begehrte dann den Vorsteuerabzug rückwirkend. Das FG Niedersachsen gab der Kl. Recht, worauf das Finanzamt die Revision beantragte.
 
3 Entscheidung
Der BFH sah die Revision als begründet an, denn ein Dokument ohne inländischen Steuerausweis könne keine berichtigungsfähige Rechnung darstellen. Als Erklärung führte der BFH zum einen aus, die Dokumente seien so mangelhaft, dass der nationalen Steuerverwaltung die erforderlichen Angaben fehlten. Zum anderen dürfe man nur einen Umsatzsteuerbetrag als Vorsteuer abziehen, welcher in Rechnung gestellt wurde. Ferner führte der BFH aus, die vom EuGH bejahte Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung beziehe sich u. a. darauf, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer gezahlt hatte. Im Gegensatz hierzu verfügte die Kl. im Streitjahr über keine Rechnungen mit inländischer Umsatzsteuer und hatte dementsprechend auch keine in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer gezahlt.
 
4 Folgen für die Praxis
Das Urteil bringt für die Praxis leider keine Klarheit, sondern wirft vielmehr Fragen auf. Der Entwicklung der deutschen Rechtsprechung nach erscheint bald nur noch eine korrekt ausgestellte Rechnung als berichtigungsfähig. Dies würde die bisherige EuGH-Rechtsfindung ins Leere laufen lassen. Nach der MwStSystRL entsteht das Vorsteuerabzugsrecht zum Zeitpunkt der Leistungserbringung in Höhe der geschuldeten Steuer. Die Zahlung der Umsatzsteuer ist nicht relevant. Ausgeübt werden kann der Vorsteuerabzug mit dem erstmaligen Besitz einer Rechnung. Hier gibt es kein Wahlrecht. Und der EuGH äußerte sich wiederholt dazu, dass der Rechnungsbegriff weit zu verstehen ist.
 
Die Kl. war im Besitz einer Rechnung, welche wohl alle Rechnungspflichtangaben aufwies. Das Dokument beinhaltete sogar einen Steuerausweis, auch wenn dieser materiell-rechtlich unzutreffend war. Somit entsprach die Rechnung nicht nur den vom EuGH vorgeschriebenen Merkmalen. Sie enthielt sogar die in Deutschland erforderlichen Mindestangaben. Diese durften nach bisheriger Auffassung materiell-rechtlich durchaus falsch sein. Sie durften nur nicht so unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. Vielleicht ist dies auch ein Grund dafür, weshalb diese Mindestangaben in der Begründung nicht mehr geprüft wurden. 
 
Das Dokument war nach Auffassung des BFH jedoch so mangelhaft, dass die Finanzverwaltung nicht einschätzen konnte, ob eine Netto- oder eine Bruttovereinbarung getroffen wurde. Beim Blick in den UStAE erscheint diese Unklarheit verwunderlich. Denn bei einem Umsatz mit Steuerschuldübergang geht man von einer Nettovereinbarung aus (Abschn. 13b.13 Abs. 1 S. 1 UStAE). Also hätte die Finanzbehörde den Umsatzsteuerbetrag berechnen können. Der BFH bemängelte auch, dass die Steuer nicht entrichtet wurde, und er tat dies trotz der ständigen EuGH-Rechtsprechung, wonach das Vorsteuerabzugsrecht nicht von der tatsächlichen Zahlung abhängig gemacht werden darf. Dabei hatte die Kl. den Umsatz sogar der Besteuerung unterworfen und die Umsatzsteuer (im falschen Land) deklariert und entrichtet. 
 
Deshalb ist es etwas schade, dass wir hier die Meinung aus Luxemburg nicht hören werden. Denn die bisherigen Antworten zu diesem Thema waren auch meist für die sehr strikte deutsche Sichtweise eher überraschend. Selbst die deutsche Generalanwältin hatte eine eher strenge Position vertreten und war dem BFH gefolgt. Diesen Standpunkt hatte der EuGH bekannterweise nicht geteilt (KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 37│2021).
 
Ansprechpartner:
 

Dr. Atanas Mateev
Dipl.-Wirtschaftsjurist (Univ.), Steuerberater
Tel.: +49 89 217501253
atanas.mateev@kmlz.de

Stand: 28.10.2022