Umsatzsteuer Newsletter 23/2023
EuGH zur Vermietung eines Gebäudes samt Betriebsvorrichtungen: Vorrang der einheitlichen Leistung gegenüber dem Aufteilungsgebot
Der EuGH äußert sich mit Urteil vom 04.05.2023 zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Vermietung eines Gebäudes samt Betriebsvorrichtungen. Nach dem EuGH hat die einheitliche Leistung dabei Vorrang vor dem Aufteilungsgebot. Im Entscheidungsfall liege eine steuerfreie einheitliche Leistung nahe. Die abschließende Beurteilung obliegt nun dem BFH. Es sind eine Reihe praxisrelevanter Auswirkungen zu erwarten, welche u. a. diverse Steuerbefreiungstatbestände sowie den Vorsteuerabzug betreffen. Die Entscheidung dürfte auch Ausstrahlungswirkung für Parallelfälle haben.
1 Hintergrund
Entsprechend der unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 135 MwStSystRL) ist nach deutschem Recht die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken und Gebäuden grundsätzlich umsatzsteuerbefreit (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a. UStG). Der nationale Gesetzgeber unterwirft aber die Vermietung und Verpachtung sog. Betriebsvorrichtungen der Umsatzsteuer (§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG). Wird ein Gebäude samt Betriebsvorrichtungen vermietet, drängt sich die praxisrelevante Frage auf, ob eine einheitliche steuerfreie Vermietungsleistung vorliegt, bei welcher die Überlassung der Betriebsvorrichtungen eine Nebenleistung darstellt, die „das umsatzsteuerliche Schicksal“ der steuerfreien Vermietungsleistung teilt, oder ob die Vermietungsleistung in einen steuerpflichtigen und einen steuerfreien Teil aufzuteilen ist. Mit anderen Worten: Resultiert auch bei einheitlichen Leistungen aus § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG ein Aufteilungsgebot? Der EuGH hat sich mit seiner Entscheidung vom 04.05.2023 in der Rs. C-516/21 (Finanzamt X) ausdrücklich zu dieser Fragestellung geäußert.
 
2 Sachverhalt
Der Kläger verpachtete langfristig ein Stallgebäude zur Putenaufzucht, in welchem Vorrichtungen und Maschinen, die speziell der optimalen Nutzung als Putenaufzuchtstall dienen, auf Dauer eingebaut waren. Für die Verpachtung des Stalls sowie der Vorrichtungen und Maschinen war ein einheitliches Entgelt vereinbart. Der Kläger behandelte die Verpachtung insgesamt umsatzsteuerfrei. Demgegenüber vertrat das Finanzamt in Umsetzung des Aufteilungsgebots die Auffassung, dass die einheitliche Pacht zu 20 % auf eine umsatzsteuerpflichtige Verpachtung von Betriebsvorrichtungen entfalle. Für die Streitjahre erließ es entsprechende Änderungsbescheide. Das erstinstanzliche FG war der Ansicht, dass eine insgesamt steuerfreie Leistung vorliegt, die auch die Verpachtung der eingebauten Vorrichtungen und Maschinen umfasst. Hiergegen legte das Finanzamt Revision ein. Der BFH setzte das Verfahren aus und wandte sich mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (BFH-Urteil v. 26.05.2021 – V R 22/20). Der BFH wollte im Wesentlichen wissen, ob bei gemischten Vermietungen in Umsetzung des Aufteilungsgebots eine Steuerpflicht auch dann angenommen werden kann, wenn eine wirtschaftlich einheitliche Leistung vorliegt. Zu klären war damit insbesondere, ob den Grundsätzen des EuGH zur Bestimmung eines einheitlichen Umsatzes Vorrang gegenüber dem Aufteilungsgebot zukommt.
 
3 Entscheidung des EuGH 
Nach dem EuGH ist für umsatzsteuerliche Zwecke bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, im Wege einer Gesamtbetrachtung zu bestimmen, ob getrennte Leistungen vorliegen oder ob es sich um eine einheitliche Leistung handelt. Letzteres sei der Fall, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Dies gelte insbesondere bei Vorliegen einer Haupt- und Nebenleistung. Eine Nebenleistung zeichne sich typischerweise dadurch aus, dass sie für den Kunden keinen eigenen Zweck darstellt, sondern einer Inanspruchnahme der Hauptleistung unter optimalen Bedingungen dient. Die Nebenleistung teile das umsatzsteuerliche Schicksal der Hauptleistung. Liegt ein Umsatz vor, der als wirtschaftlich einheitliche Leistung zu betrachten ist, dürfe dieser zur Wahrung eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden – auch nicht durch gesetzliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Dem stehe auch Art. 135 Abs. 2 MwStSystRL nicht entgegen. Die Regelung erfordere es nicht, einen einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang in eigenständige Leistungen aufzuteilen. Ob es sich im Entscheidungsfall um Haupt- und Nebenleistungen handelt, die eine einheitliche Leistung bildeten, sei durch den BFH zu prüfen. Für den EuGH „scheint“ eine wirtschaftlich einheitliche Leistung explizit „nahezuliegen“.
 
4 Auswirkungen für die Praxis 
Die klaren Aussagen des EuGH hinsichtlich des Vorranges der einheitlichen Leistung gegenüber einem gesetzlich verankerten Aufteilungsgebot sind zu begrüßen. Jedenfalls wird hierdurch das nach der Verwaltungspraxis zwingende Aufteilungsgebot grundlegend aufgeweicht. In Parallelfällen (z. B. bei Kantinen oder Industrieobjekten) wäre im Einzelfall (erneut) zu prüfen, ob die Überlassung etwaiger Betriebsvorrichtungen Nebenleistungen zur steuerfreien Vermietungsleistung i. S. e. Hauptleistung darstellen. Die Annahme einer einheitlichen steuerfreien Leistung hätte zur Folge, dass der bisher mögliche Vorsteuerabzug hinsichtlich der steuerpflichtigen Überlassung der Betriebsvorrichtungen entfiele. Insoweit wäre ein Verzicht nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerbefreiung – für die gesamte Vermietungsleistung – erforderlich, wobei die Einschränkungen des § 9 Abs. 2 UStG zu berücksichtigen sind. Allerdings entfiele das Risiko einer unerkannt gebliebenen steuerpflichtigen Vermietung von Betriebsvorrichtungen und der infolgedessen drohenden Umsatzsteuernachforderung durch das Finanzamt. 
 
Jedenfalls bestätigt die Entscheidung die umsatzsteuerliche Behandlung zur Parkplatzüberlassung i. Z. m. Vermietungsleistungen (s. dazu KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 24│2021). Spannend ist, wie sich diese Entscheidung auf die beim BFH anhängigen Verfahren (Az. V R 15/21 und XI R 8/21) zur Frage der Mietnebenkosten (Heizung und Strom) als bloße Nebenleistung und zur Rechtmäßigkeit des Aufteilungsgebots für Beherbergungsumsätze (s. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 23│2022) auswirken wird. Der Nachfolgeentscheidung des BFH kann damit eine weitreichende Wirkung zukommen.
 
Ansprechpartner:
 
Dr. Jochen Tillmanns
Rechtsanwalt, Dipl.-Finanzwirt (FH)
Tel: +49 211 54 095 381
 
Stand: 08.05.2023