Umsatzsteuer Newsletter 17/2023
Umsatzsteuerrechtliche Organschaft: EuGH-Vorlage zu Innenleistungen / Finanzielle Eingliederung ohne Stimmrechtsmehrheit
Bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft kehrt keine Ruhe ein. Gerade noch hat der EuGH es unionsrechtlich für zulässig befunden, dass der Organträger nach nationalem Recht der Steuerpflichtige ist. Schon tut sich die nächste Rechtsfrage mit erheblicher Sprengkraft auf: Sind Innenleistungen steuerbar? Dies fragt der V. Senat des BFH nunmehr den EuGH. Fast schon unwesentlich erscheint daneben die Rechtsprechungsänderung des XI. Senats, wonach zur finanziellen Eingliederung nicht mehr zwingend eine Stimmrechtsmehrheit erforderlich ist.
1 Aktueller Stand zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
Nach dem deutschen UStG ist der Organträger einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft der einzige Steuerpflichtige des Organkreises. Am 01.12.2022 hat der EuGH in zwei Urteilen entschieden, dass diese deutsche Rechtslage unionsrechtskonform ist (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 48 | 2022). Den beiden EuGH-Urteilen lagen Vorlagefragen des V. Senats und des XI. Senats des BFH zugrunde. In beiden Verfahren haben sich noch weitere Fragen zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft ergeben. Eine dieser Fragestellungen wurde vom XI. Senat des BFH nunmehr per Urteil entschieden. Eine zweite Fragestellung hat der V. Senat des BFH dem EuGH zur weiteren Entscheidung vorgelegt.
 
2 Finanzielle Eingliederung ohne Stimmrechtsmehrheit
Im vom XI. Senat des BFH am 18.01.2023 entschiedenen Verfahren (XI R 29/22) hielt die Muttergesellschaft mit 51 % zwar die Anteilsmehrheit an der Tochtergesellschaft, verfügte aber lediglich über die Hälfte der Stimmen in deren Gesellschafterversammlung. Die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung der Tochtergesellschaft in die Muttergesellschaft lagen unstrittig vor. Insbesondere bestand in den Geschäftsführungsgremien Personenidentität. Strittig war die finanzielle Eingliederung.
 
Laut BFH ist in einem derartigen Fall die finanzielle Eingliederung gegeben. Insoweit ändert der BFH ausdrücklich seine Rechtsprechung. Der V. Senat des BFH hat dem vorab ausdrücklich zugestimmt. Wie der BFH ausführt, war für die finanzielle Eingliederung bisher die Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung erforderlich. Nach Auffassung des EuGH sei aber weder die Stimmenmehrheit noch die Mehrheitsbeteiligung als unbedingt erforderlich anzusehen. Es komme nur darauf an, dass der Organträger seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen kann. 
 
Nunmehr nimmt der BFH an, dass bei nur 50 % der Stimmrechte trotz Mehrheitsbeteiligung die finanzielle Eingliederung lediglich schwächer ausgeprägt ist. Dies werde aber durch die Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen ausgeglichen. Dadurch kann der Organträger seinen Willen in der laufenden Geschäftsführung durchsetzen und eine abweichende Willensbildung durch die 50 % Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung verhindern. Schwestergesellschaften können aber weiterhin allein keine Organschaft bilden.
 
Durch die relativ eng gefassten Voraussetzungen (Mehrheitsbeteiligung, 50 % der Stimmrechte und Geschäftsführeridentität), die der BFH benennt, damit nach seiner neuen Rechtsprechung die finanzielle Eingliederung vorliegt, dürfte sich die Breitenwirkung des Urteils in Grenzen halten. In der Praxis weichen die prozentuale Verteilung der Anteile und der Stimmrechte zumeist nicht voneinander ab. Einen solchen praxisrelevanten Fall entscheidet das vorliegende Urteil gerade nicht. Offen ist durch die Rechtsprechung, wie der BFH das EuGH-Urteil vom 01.12.2022 umsetzen würde, wenn die organisatorische Eingliederung über eine Teilpersonenidentität hergestellt wird.
 
3 EuGH-Vorlage zu Innenleistungen
Im Verfahren des V. Senats (V R 20/22) hat der BFH am 26.01.2023 beschlossen, den EuGH anzurufen. Die Klägerin ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die einen unternehmerischen und einen nichtunternehmerischen Bereich unterhält. Die Tochtergesellschaft, welche unstrittig Organgesellschaft der Klägerin ist, erbringt entgeltliche Leistungen sowohl in den unternehmerischen (unstrittig nicht steuerbar) als auch in den nichtunternehmerischen Bereich der Organträgerin. Strittig ist bisher, ob die Leistungen der Organgesellschaft in den nichtunternehmerischen Bereich der Organträgerin steuerbar sind.
 
Nachdem der EuGH entschieden hat, dass insoweit keine Entnahmebesteuerung in Form unentgeltlicher Wertabgaben vorzunehmen ist (davon geht auch der BFH nunmehr aus), stellt der BFH jetzt die Frage, ob möglicherweise sämtliche Leistungen zwischen Organgesellschaft und Organträger (Innenleistungen) steuerbar sind. Weiterhin möchte der BFH wissen, ob zumindest Innenleistungen steuerbar sind, wenn ansonsten die Gefahr von Steuerverlusten droht (hier durch die Leistungen der Organgesellschaft in den nichtunternehmerischen Bereich der Organträgerin). Seine unionsrechtlichen Zweifel leitet der BFH vor allem aus den beiden EuGH-Urteilen vom 01.12.2022 ab und nimmt eine Untersuchung anhand verschiedener Auslegungsmethoden vor. Hierbei kommt er zu dem Ergebnis, dass einiges für die Steuerbarkeit von Innenleistungen spreche. Der BFH meint, dass sich das nationale Recht auch entsprechend auslegen ließe.
 
Die EuGH-Vorlage des V. Senats besitzt einige Sprengkraft. Sollten Innenleistungen steuerbar sein, würde dies doch noch die gesamte umsatzsteuerrechtliche Organschaft auf den Kopf stellen. Für die Vergangenheit sollte betroffenen Unternehmen zwar Vertrauensschutz zu gewähren sein. Allerdings werden in vielen Bereichen mit steuerfreien Ausgangsumsätzen (Banken, Versicherungen, sozialer Bereich) Organschaften gerade begründet, um Innenleistungen ohne Umsatzsteuerbelastung erbringen zu können. Ärgerlich ist insbesondere, dass die Vorlage zu einer erneuten erheblichen Rechtsunsicherheit führt. Der EuGH hatte bei seinen Entscheidungen vom 01.12.2022, welche der BFH als Auslöser seiner neuen Zweifel bezüglich der Innenleistungen nennt, die Frage der Steuerbarkeit von Innenleistungen nicht vor Augen. Er wollte daher dazu keine Aussage treffen. Inhaltlich spricht der BFH nicht an, dass der Vorschlag der Kommission über die Option zur Mehrwertsteuergruppe vom 02.07.2009 explizit ausführt, dass die „Innenumsätze der Gruppe im Hinblick auf die Mehrwertsteuer nicht existent sind“. Diesen Kommissionsvorschlag zitiert der EuGH in seinen Urteilen vom 01.12.2022 gerade als Auslegungshilfe. Es hätte daher auch gute Argumente dafür gegeben, bezüglich der Innenleistungen alles beim Alten zu belassen.
 

Ansprechpartner:

Dr. Michael Rust
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 27.03.2023